Wird der Anschlag in Magdeburg zum Thema im Wahlkampf?

Von | 23. Dezember 2024

Nicht einmal eine Stunde nach der tödlichen Fahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gab es bereits die ersten Versuche, die Stimmung nach der Tat durch Falschbehauptungen zu befeuern und daraus politisch Kapital zu schlagen: Der mutmaßliche Täter sei ein Syrer, der als Flüchtling 2015/2016 nach Deutschland gekommen sei. Es handele sich nicht um einen Täter, sondern um fünf, drei von ihnen seien noch auf der Flucht, außerdem sei eine Bombe auf dem Weihnachtsmarkt platziert worden. Und: 34 Menschen seien dem Anschlag zum Opfer gefallen.

Vor allem der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, der führende Kopf der europaweit vernetzten Neuen Rechten, ist bei der Desinformation ganz vorne dabei. Der ausländerfeindliche Ton ist gesetzt, und Politiker der in Teilen rechtsextremen AFD ziehen kurze Zeit später nach. „Nur die AfD hätte den Mann längst abgeschoben“, postet Sven Tritschler, Vizechef der AfD-Fraktion in dem einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen im Westen Deutschlands.

„Millionenfache Migration ist das Problem und millionenfache Remigration ist die Lösung“, schreibt Dominik Kaufner, AfD-Abgeordneter im Bundesland Brandenburg, das Berlin umgibt. Und die AfD-Landtagsabgeordnete Vanessa Behrendt aus Niedersachsen im Nordwesten Deutschlands sieht die SPD, CDU, Grüne und Linke in der Verantwortung: „Das habt Ihr zu verantworten. Ihr ganz allein.“ Dabei handelt es sich bei dem mutmaßlichen Attentäter Taleb A. offenbar um einen Islam-Kritiker und AfD-Sympathisanten.

Rückt Deutschland weiter nach rechts?

Die AfD-Parteichefin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel bleibt deswegen wohl auch im Ungefähren, wenn sie auf X schreibt: „Wann hat dieser Wahnsinn ein Ende?“ Nur noch zwei Monate sind es bis zu den Bundestagswahlen am 23. Februar, der Anschlag von Magdeburg könnte massive Auswirkungen auf den Wahlkampf haben.

Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Benjamin Höhne sagt der DW: „Der Trend geht mehr und mehr nach rechts, rechte Narrative machen sich breit. Eine offene Migrationspolitik, die versucht, global Menschenrechte anzuerkennen, ist schon ins Hintertreffen geraten. Solche katastrophalen Ereignisse, wie sie in Magdeburg geschehen sind, werden vermutlich diese Tendenz noch weiter verschärfen.“

Sarah Wagenknecht attackiert SPD-Innenministerin Nancy Faeser

Das populistische Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), das sich für eine restriktivere Migrationspolitik einsetzt, greift indes die SPD-Bundesinnenministerin an. Nancy Faeser müsse erneut die Frage beantworten, „warum so viele Hinweise und Warnungen im Vorfeld ignoriert wurden“. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa habe es vor rund einem Jahr von Saudi-Arabien eine Art Warnhinweis zu dem Mann an die deutschen Behörden gegeben.

Mit Blick auch auf die Anschläge in Solingen und Mannheim fordert die BSW-Vorsitzende Sarah Wagenknecht „endlich ein überzeugendes Sicherheitskonzept mit klarem Fokus auf den Schutz der Bevölkerung.“

Politikwissenschaftler Höhne sagt dazu: „Es ist davon auszugehen, dass Parteien insbesondere aus dem Rechtsaußenspektrum versuchen werden, die Innenministerin und die SPD beim Thema Sicherheit zu attackieren. Dadurch, dass die SPD Verantwortung für das Innenministerium und die innere Sicherheit auf Bundesebene trägt, wird sie versuchen, durch Magdeburg nicht in eine defensive Position in diesem Politikfeld zu geraten.“

Sicherheit und Migration Wahlkampfthemen

Kein leichtes Unterfangen für die Kanzlerpartei, denn beim Thema „Innere Sicherheit“ vertrauen die Deutschen traditionell eher der Union, bestehend aus CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU. Benjamin Höhne ist davon überzeugt, dass die Themen Sicherheit und Migration, wie schon bei den jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland gesehen, die politische Agenda in den nächsten Wochen bestimmen werden. Es habe hierzulande eine sogenannte „Versicherheitlichung“ stattgefunden.

Parteienforscher Benjamin Höhne hält ein Mikrofon in der Hand
„Unmittelbar nach dem Anschlag haben die Social Media-Aktivitäten von AfD-Vertretern begonnen“ – Benjamin HöhneBild: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt

„Das heißt, Migration wird fast ausschließlich unter dem Blickwinkel möglicher oder tatsächlicher Sicherheitsgefährdungen diskutiert. Dabei rücken andere Facetten des Migrationsthemas in den Hintergrund – zum Beispiel, wie in Deutschland Arbeitsplätze besetzt oder Fachkräfte gewonnen werden können. Ich befürchte, dass der Anschlag von Magdeburg diese bestehende Tendenz nochmal verstärkt.“

Auch Elon Musk mischt sich in den deutschen Wahlkampf ein

Hinzu kommt: Aus dem Ausland wird immer massiver versucht, Einfluss auf die deutsche Politik und den Wahlkampf zu nehmen. Desinformationskampagnen aus Russland gibt es schon länger, neu ist, dass der Tech-Milliardär Elon Musk immer aktiver die deutsche Regierung attackiert. Vor dem Anschlag in Magdeburg hatte der Trump-Berater zur Wahl der AfD aufgerufen, jetzt forderte er den Rücktritt von Bundeskanzler Scholz und nannte ihn einen „unfähigen Narren“.

Politikwissenschaftler Höhne sagt: „Regierungsinstitutionen und Regierungsvertreter sollten darüber nachdenken, ob ihre Anwesenheit auf der Plattform X noch weiter politisch opportun ist. Allen sollte doch inzwischen klar sein, dass Elon Musk sein Unternehmen X nutzt, um seine politische Agenda auch in Deutschland sichtbar zu machen.“ Staatliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland dürften das „nicht hinnehmen“.

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