Die NATO-Staaten haben sich auf neue regionale Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen auf das Bündnisgebiet verständigt. Die Annahme der Dokumente erfolgte am Montag einen Tag vor dem Beginn des Gipfeltreffens in Litauen in einem schriftlichen Verfahren, wie die Deutsche Presse-Agentur von mehreren Diplomaten erfuhr.
Die Entscheidung soll an diesem Dienstag von den Staats- und Regierungschefs noch einmal bestätigt und dann offiziell verkündet werden. Die insgesamt mehr als 4000 Seiten starken Verteidigungpläne beschreiben nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollen. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen.
Erdogan hebt Blockade von schwedischem NATO-Beitritt auf
Die Türkei will den NATO-Beitritt von Schweden nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht länger blockieren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe bei einem Treffen mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson zugestimmt, das Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen, sagte Stoltenberg am Montagabend auf einer Pressekonferenz in Vilnius.
Zuvor hatten sich Erdogan, Kristersson und Stoltenberg in der litauischen Hauptstadt einen Tag vor dem NATO-Gipfel beraten. Der Frage, wann der Nato-Betritt Schwedens vollzogen sein könnte, wich Stoltenberg allerdings aus. Er wiederholte nur, dass es eine klare Zusicherung gebe, die Ratifikationsdokumente dem Parlament zuzuleiten. Schweden und Finnland hatten im Mai 2022 unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO beantragt. Finnland ist bereits Anfang April zum 31. Mitglied des Bündnisses geworden.
Kreml bestätigt Treffen Putins mit Prigoschin
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Nachrichtenagentur Interfax: „In der Tat hatte der Präsident ein solches Treffen, er hat dazu 35 Leute eingeladen – alle Kommandeure von Einheiten und die Führung des Unternehmens, darunter Prigoschin selbst.“ Zuvor hatten Medien über ein solches Treffen Putins mit Prigoschin berichtet. Seit Tagen hatten Experten international spekuliert über die Zukunft Prigoschins und seiner Wagner-Truppe, die für den Kreml etwa auch in Afrika und im Nahen Osten wichtig ist.
Peskows Angaben nach dauerte die Aussprache drei Stunden und fand am 29. Juni statt – also mehrere Tage nach der gescheiterten Revolte Prigoschins gegen die Militärführung. Während des Gesprächs habe Putin seine Einschätzung sowohl bezüglich der Aktivitäten von Wagner auf dem Schlachtfeld in der Ukraine gegeben als auch während des Aufstands am 24. Juni. Der Kremlchef habe sich aber auch die Version der Wagner-Offiziere zu dem Aufstand angehört.
Am 24. Juni ließ Wagner-Chef Prigoschin, nachdem er Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen Angriff auf Militärlager seiner Privatarmee vorgeworfen hatte, die südrussische Stadt Rostow am Don von seinen Einheiten besetzen und setzte zugleich eine Militärkolonne Richtung Moskau in Marsch. Bei ihrem Vormarsch auf die russische Hauptstadt schossen die Wagner-Truppen mehrere Hubschrauber und ein Flugzeug ab; mehrere Besatzungsmitglieder starben. Am Abend gab Prigoschin nach Verhandlungen mit dem Kreml, in denen der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko als Vermittler fungierte, den Rückzugsbefehl.
Russland beschießt Wohngebiet in Orichiw
Bei einem russischen Angriff auf ein Wohngebiet in der Frontstadt Orichiw in der südukrainischen Region Saporischschja sind nach Angaben der Behörden vier Menschen getötet und elf weitere verletzt worden. Zu dem Angriff sei es während der Verteilung von humanitärer Hilfe gekommen, teilte Regionalgouverneur Jurij Malaschko mit.
Unter den Toten seien drei Frauen und ein Mann, die alle um die 40 Jahre alt gewesen seien. Es habe insgesamt 36 Angriffe der russischen Truppen auf zehn Siedlungen in der Region gegeben.
Australien stationiert Militärflugzeug in Deutschland
Australien beteiligt sich mit einem Militärflugzeug und bis zu 100 australischen Soldaten und zivilen Mitarbeitern an der Versorgung der Ukraine mit militärischer und humanitärer Hilfe. Das Flugzeug vom Typ E-7A Wedgetail soll die multinationalen Logistik-Hubs für die Ukraine überwachen, für sechs Monate in Deutschland stationiert werden und im europäischen Luftraum operieren.
Das kündigte der australische Premierminister Anthony Albanese nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin an. Bei der E-7A handelt es sich um eine für die Einsatzleitung und Überwachung ausgebaute Boeing 737, die knapp 34 Meter lang ist und eine Reichweite von 7040 Kilometern hat. Albanese dankte Deutschland dafür, die australischen Soldaten aufzunehmen. Australien ist ein enger Partner Deutschlands, aber kein Mitglied der NATO. Scholz sprach von einem „guten“ und „bemerkenswerten“ Schritt.
Kiew will Grenze zu Belarus besser schützen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich bei einem Besuch in Luzk im Nordwesten des Landes in der Nähe von Belarus erneut für einen besseren Schutz der Staatsgrenze ausgesprochen. Priorität sei es, die ganze nördliche Grenze zu stärken, alle Regionen dort, sagte er in seiner täglichen Videobotschaft. Diese wurde diesmal an der Burganlage in der Altstadt von Luzk aufgenommen. Selenskyj hatte sich dort über die aktuelle Lage informiert.
Russische Truppen waren nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 auch von Belarus aus in die Ukraine einmarschiert. In dem Land sind Tausende russische Soldaten stationiert, die dort Stützpunkte überwiegend für die Vorbereitung auf Kampfeinsätze nutzen. Experten halten einen neuen Angriff aus Belarus für aktuell nicht sehr wahrscheinlich. Trotzdem sieht die ukrainische Führung Belarus, das den Angriffskrieg Russlands unterstützt, als Konfliktpartei und als Gefahr.
Selenskyj wollte mit seinem Besuch in der Region in der Nähe des EU- und NATO-Mitglieds Polen auch das Sicherheitsgefühl der Menschen stärken. Er dankte in seiner Videobotschaft einmal mehr den Soldaten für die Erfolge auf dem Schlachtfeld.
Biden: USA könnten Ukraine nach Kriegsende Schutz bieten wie Israel
Die Ukraine will so schnell wie möglich NATO-Mitglied werden. Nun deutet der US-Präsident an, in welche Richtung neue Sicherheitsgarantien des Westens gehen könnten. Demnach sind die Vereinigten Staaten bereit, der Ukraine nach einem Ende des russischen Angriffskriegs ähnlichen Schutz zu bieten wie Israel. Den Vorschlag bezog Biden auf die Zeit zwischen Kriegsende und einem möglichen NATO-Beitritt der Ukraine. Biden betonte vor dem Gipfel der NATO-Staaten in Litauen in einem Interview des Fernsehsenders CNN überdies, dass eine solche umfassende Schutzgarantie nur im Fall eines Waffenstillstands und eines Friedensabkommens denkbar wäre.
Bei dem Gipfel in Vilnius geht es ab Dienstag darum, wie die Ukraine an das Bündnis herangeführt werden kann und welche Sicherheitsgarantien ihr gegeben werden könnten. Zu der von der Ukraine gewünschten formellen Einladung in die Allianz wird es aber voraussichtlich nicht kommen. Biden und etliche andere NATO-Partner halten die Ukraine noch nicht für einen Beitritt bereit – auch wegen des andauernden Krieges. Der US-Präsident fügte hinzu, ein Beitrittsprozess brauche Zeit. In der Zwischenzeit könnten die USA der Ukraine aber die nötigen Waffen bereitstellen und sie befähigen, sich zu verteidigen.
Lawrow spricht mit türkischem Kollegen über Krieg in Ukraine
Krisendiplomatie am Telefon: Der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein türkischer Kollege Hakan Fidan haben sich eine Woche vor Auslaufen des Abkommens zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer zu Fragen der Ernährungssicherheit ausgetauscht. Lawrow sagte bei dem Telefonat, dass der Westen unfähig sei, Russlands Forderungen für eine Verlängerung des Abkommens zu erfüllen. Das teilte sein Ministerium in Moskau mit. Das Getreideabkommen soll am 17. Juli auslaufen. Es war im Sommer 2022 unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen zustande gekommen.
Die Führung in Moskau beklagt, dass ihre Bedingungen für eine Fortsetzung nicht erfüllt seien. Dazu gehört etwa der Abbau von Sanktionen, die russische Ausfuhren von Getreide und Düngemitteln verhindern. Die Vereinbarung hatte eine monatelange russische Seeblockade ukrainischer Schwarzmeerhäfen beendet. Die Vereinten Nationen forderten alle Parteien dazu auf, die Vereinbarung zu verlängern, um die globale Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Steinmeier mahnt zur Zurückhaltung bei US-Streumunition-Lieferung
Die Bundesregierung sollte nach Auffassung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Lieferung von Streumunition durch die USA an die Ukraine akzeptieren. Die Position der Bundesregierung, sich gegen Streumunition auszusprechen, sei nach wie vor richtig, sagte Steinmeier dem Zweiten Deutschen Fernsehen. „Aber sie kann in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen.“ Die USA hatten am Freitag angekündigt, Streumunition zu liefern, um Kiew im Verteidigungskrieg gegen Russland zu unterstützen. Der Bundespräsident wies darauf hin, dass er 2008 in Oslo als Außenminister für Deutschland das internationale Abkommen zur Ächtung der Streumunition unterschrieben habe. „Ich bin da befangen“, betonte er im Interview.
Steinmeier zeigte sich offen für eine grundsätzliche Aufarbeitung des deutschen Verhältnisses zu Russland bis zum Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. „Manches würde sich bei dieser Aufarbeitung auch korrigieren, nämlich der Eindruck, als ob das irgendwie eine Art von Naivität oder gar Liebedienerei gegenüber Russland gewesen sei. Das Gegenteil ist doch der Fall.“ Nicht nur Deutschland, auch die USA und viele andere Staaten hätten versucht, in Europa eine Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands zu schaffen. „Das hat nicht funktioniert am Ende. Auch wir haben es nicht hingekriegt.“
Daraus müsse man Schlüsse für die Zukunft ziehen, sagte Steinmeier. „Sicherheit in der Zukunft in Europa wird nicht mehr eine gemeinsame Sicherheit mit Russland sein, sondern wir werden uns voreinander schützen – mit immensen Ausgaben für unsere Verteidigungshaushalte, um besseren Schutz für Europa, für die Allianz und besseren Schutz für unsere eigene Bevölkerung in Deutschland zu organisieren.“
SPD-Chef schließt NATO-Beitritt der Ukraine derzeit aus
Die Aufnahme der Ukraine in die NATO vor dem Ende des russischen Angriffskriegs kommt für den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil nicht in Frage. „Die NATO kann die Ukraine nicht aufnehmen, solange sie im Krieg ist, sonst wären Deutschland und die anderen Bündnisstaaten sofort Kriegspartei“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Vom Gipfel der 31 Mitgliedstaaten der Allianz im litauischen Vilnius an diesem Dienstag und Mittwoch werde aber dennoch ein klares Signal der engen militärischen Kooperation mit der Ukraine ausgehen. Es gehe unter anderem darum, die Ausbildung ukrainischer Soldaten zu stärken und schon jetzt die Ukraine an NATO-Standards heranzuführen. Und zur Frage weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine sagte Klingbeil: „Was wir wirklich abgeben können, wird geliefert.“