Mit einer Videoansprache hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet. Er forderte den Westen auf, schneller als bislang Waffen zu liefern. Russlands Präsident Putin dürfe keine Chance haben, sagte Selenskyj bei der Sicherheitskonferenz in München. Putin versuche, sich Zeit zu kaufen für seine Aggression. Er könne dabei immer noch viele Leben zerstören – „deswegen brauchen wir Geschwindigkeit“, erklärte Selenskyj. „Denn davon hängt unser Leben ab.“
Der ukrainische Präsident verglich sein Land mit dem biblischen David, der sich gegen einen russischen Goliath wehren müsse. Selenskyj dankte den westlichen Staaten für die Waffenhilfe zur Abwehr des russischen Angriffskrieges: „Es gibt keine Alternative zu unserem Sieg, und es darf auch keine Alternative zu unserer Entschlossenheit geben.“ Verzögerungen bei der Unterstützung seines Landes seien schon immer schädlich gewesen, sagte Selenskyj weiter. Die Verteidigung der Ukraine müsse gestärkt werden etwa mit neuen, modernen Panzern. Ansonsten werde auch der Westen keine ruhige Minute haben. Der Kreml könne die Sicherheit aller zerstören, die in München versammelt seien.
Das Treffen von Politikern und Experten aus 96 Ländern in München dauert bis Sonntag. Die russische Führung ist erstmals seit mehr als 20 Jahren nicht eingeladen. Im Zentrum der Konferenz steht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Aber auch die wachsenden Spannungen im Verhältnis des Westens zu China dürften zur Sprache kommen.
Schulterschluss mit der Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz hat den westlichen Schulterschluss bei der Ukraine-Hilfe in der Verteidigung gegen Russland betont. „Putins Revisionismus wird nicht siegen“, sagte Scholz in München auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf Russlands Präsident Wladimir Putin. „Die Ukraine ist geeinter denn je. Die EU steht geschlossen zusammen – und hinter einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft der Ukraine“, sagte er. Die NATO wachse zugleich um zwei neue Mitglieder, Schweden und Finnland.
Scholz betonte erneut, dass jeder neue Schritt der Waffenhilfe mit den Partnern abgesprochen sein müsse. „Die Balance zwischen bestmöglicher Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation werden wir auch weiterhin wahren.“ Er sei froh und dankbar, dass US-Präsident Joe Biden und viele andere Verbündete dies genauso sähen.
Deutschland leiste die Hilfe, die für die Bedeutung des Landes angemessen sei. „Allein Deutschlands Hilfe für die Ukraine belief sich im vergangenen Jahr auf über zwölf Milliarden Euro“, sagte der Kanzler zu der Kritik, dass Deutschland zu zögerlich sei. Er verwies auch auf die Aufnahme von mehr als einer Million ukrainischer Flüchtlinge. Deutschland werde mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten und den Bemühungen für Nachschub und Logistik Partnern die Entscheidung erleichtern,ebenfalls mehr Waffen zu liefern. Scholz sagte den NATO-Partner zu, dass die Bundesrepublik „dauerhaft“ zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben werde.
Pistorius warnt vor russischen Ambitionen
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte in einem Interview der Deutschen Welle, beim russischen Angriff auf die Ukraine gehe es nicht nur um dieses Land, sondern um russische Ambitionen weltweit, etwa in Afrika, im Indopazifik oder im Mittleren Osten. Deshalb – so Pistorius in dem DW-Interview in München – sei es so wichtig, die Ukraine nicht im Stich zu lassen. „Putin wird nicht aufhören, wenn die Ukraine fällt – im Gegenteil“, warnte Pistorius.
„Deshalb geht es hier um viel viel mehr.“ Er habe keine Hinweise dafür, dass unter den Verbündeten die Unterstützung für die Ukraine nachlasse. „Dieser Westen ist nicht so schwach, wie Putin es gerne hätte“, sagte Pistorius. „Das ist das Signal, das von hier ausgehen muss“ – so der deutsche Verteidigungsminister mit Blick auf die Münchner Sicherheitskonferenz.
Zur Frage der Lieferung von Kampfjets an die Ukraine sagte Pistorius, dass Deutschland von dieser Forderung der Ukraine nicht direkt betroffen sei. Es gehe darum, Kampfverbände mit einem bestimmten Flugzeugtyp zu bilden, und Deutschland habe keine Flugzeuge dieses Typs, sagte der Verteidigungsminister. Im Gespräch sind unter anderem auch US-Kampfjets vom Typ F-16. Zudem habe die Verteidigung der Ukraine gegen russische Luftangriffe ohnehin eine höhere Priorität, so Pistorius.
Macron mit pessimistischer Einschätzung
Der französische Präsident Emmanuel Macron sieht im Ukraine-Krieg derzeit keinen Spielraum für Verhandlungen mit Moskau. Es sei „nicht die Zeit für Dialog“ mit Russland, sagte Macron auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Russland habe „Krieg gewählt“ und sei soweit gegangen, Kriegsverbrechen zu begehen, erläuterte er. Verhandlungen könnten nur unter Bedingungen stattfinden, welche „die Ukraine wählt“, sagte Macron. Die Verbündeten Kiews müssten der Ukraine die „Mittel an die Hand geben“, um wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren zu können, führte er weiter aus.
„Wir müssen unsere Unterstützung intensivieren“, um eine ukrainische „Gegenoffensive zu ermöglichen“, forderte der Präsident. „Wenn die Ukraine Europa verteidigen soll, muss sie auch die Waffen dafür haben.“ Nach Angaben Macrons sind die kommenden Wochen und Monate „entscheidend“ für den weiteren Verlauf des Krieges. Gleichzeitig sei Frankreich aber „bereit für einen längeren Konflikt“, auch wenn „ich das nicht möchte“. Der französische Präsident schlug in seiner Rede vor, in Paris eine Konferenz zur europäischen Luftverteidigung abzuhalten. Eine solche Konferenz würde es erlauben, sich mit dem Thema aus „industrieller Sicht“, aus „strategischer Sicht“ sowie hinsichtlich „der Frage der Abschreckung“ zu beschäftigen, sagte Macron. Der Kontinent müsse „massiv in unsere Verteidigung reinvestieren, falls wir Europäer Frieden wollen“
Wird Bachmut evakuiert?
Seit Monaten versuchen russische Kämpfer, Bachmut einzunehmen. Die ostukrainische Stadt steht praktisch unter Dauerbeschuss. Angesichts der schweren Kämpfe fordert die ukrainische Regierung nun die verbliebenen Einwohner von Bachmut zur Flucht auf. „Wenn Sie zurechnungsfähige, gesetzestreue und patriotische Bürger sind, sollten Sie sofort die Stadt verlassen“, appellierte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschukin. Es seien noch gut 6000 Zivilisten in Bachmut. Der Regierung zufolge wurden zuletzt fünf Zivilisten getötet und neun verletzt.
Der Militärgouverneur von Donezk hatte die Zahl der verbliebenen Einwohner Anfang der Woche auf knapp 5000 beziffert. Die Behörden hatten damals den Zugang für Zivilisten weiter beschränkt, was zu Spekulationen führte, dass ein geordneter Rückzug der Ukrainer vorbereitet werde. Viele ältere Menschen harren in Bachmut aus, weil ihre Wohnung oder ihr Haus ihren einzigen Besitz darstellen und sie ihren Geburtsort nicht verlassen wollen. Manche sympathisieren auch mit Russland.
Baerbock wirbt für Reform der EU-Außenpolitik
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock setzt sich angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für tiefgreifende Reformen in der Europäischen Union ein. Genau jetzt sei der Moment, die gemeinsame europäische Sicherheits- und Außenpolitik zu stärken, sagte die Grünen-Politikerin in Stuttgart bei einer Veranstaltung zu Europa.
Baerbock pochte auf mehr Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip in der EU. „Wir haben in den vergangenen Monaten immer wieder gesehen, wie im Rat einzelne Mitgliedsstaaten eine starke gemeinsame europäische Haltung verhindert haben – etwa bei Menschenrechtsfragen“, sagte sie. „Das können wir uns nicht länger leisten.“ Die Bundesregierung setze sich deshalb für mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit in der EU ein, gerade in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Kuleba: Derzeit keine Chance für diplomatische Initiativen
Kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba deutlich gemacht, dass er derzeit keine Chance für diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges in seinem Land sieht. „Ich mag jeden, der Frieden durch diplomatische Initiativen erreichen will“, sagte Kuleba der Funke Mediengruppe und der französischen Zeitung „Ouest-France“. Aber wenn der Kreml die Erfahrung mache, dass er Territorien militärisch erobern könne, habe er keinen Anreiz, den Krieg zu beenden, sagte er.
Der ukrainische Außenminister, der an der an diesem Freitag beginnenden Sicherheitskonferenz teilnimmt, bekräftigte, am Anfang jeglicher Gespräche mit Russland könne nur stehen: „Die territoriale Integrität der Ukraine muss vollständig wiederhergestellt werden.“
Gefangenenaustausch zwischen Ukraine und Russland
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Rückkehr von Soldaten aus russischer Kriegsgefangenschaft als einen Erfolg bezeichnet. 100 Soldaten sowie der erste stellvertretende Bürgermeister der als Standort des größten europäischen Atomkraftwerks Saporischschja bekannten Stadt Enerhodar seien wieder in Freiheit, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft in Kiew.
„Ich freue mich sehr für die mehr als 100 Familien, deren Söhne, Brüder und Ehemänner zurückkehren“, sagte er. Russland hatte 101 Soldaten aus ukrainischer Gefangenschaft erhalten.
Großbritannien: Bis zu 60.000 Tote auf russischer Seite
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach Einschätzung britischer Geheimdienste auf russischer Seite bis zu 60.000 Soldaten oder Söldner getötet worden. Das Verteidigungsministerium in London spricht in seinem täglichen Kurzbericht von wahrscheinlich zwischen 40.000 und 60.000 Toten. Die Gesamtzahl an Toten oder Verletzten auf russischer Seite wird auf 175.000 bis 200.000 beziffert. Bei den Söldnern der russischen Privatarmee Wagner liege die „Verlustquote“ wahrscheinlich bei bis zu 50 Prozent.
Offizielle Angaben zur Gesamtzahl der Toten und Verletzten machen weder Russland noch die Ukraine. Die Briten veröffentlichten auch keine Schätzungen zur Zahl der Opfer auf ukrainischer Seite. Weiter heißt es in dem Bericht aus London, die Zahl der russischen Opfer sei seit der Teilmobilisierung im September enorm gestiegen. Seither sind deutlich mehr Reservisten mit mangelnder militärischer Erfahrung im Krieg. Nach heutigen Standards sei die Quote an Gefallenen sehr hoch, so die Briten. Dies liege mutmaßlich an unzureichender medizinischer
Versorgung.
Malteser liefern Wäsche und Mobiliar
Zum Jahrestag des Kriegsbeginns starten die Malteser in der kommenden Woche einen Hilfstransport in die Ukraine. Die Hilfsorganisation war bereits aufgrund einer langjährigen Partnerschaft mit ukrainischen Maltesern genau am Tag des Kriegsbeginns dort. Damals wurden Feldküchen geliefert.
Nun sollen von Trier aus Krankenhauswäsche – wie Bettlaken, Berufskleidung und OP-Wäsche – sowie kleines Klinik-Mobiliar geliefert werden. „Dass ein Malteser Hilfstransport vor einem Jahr genau am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine startete, war Zufall. Ein Jahr später ist es eine symbolische Botschaft: Wir helfen den Menschen in Not, solange sie uns brauchen“, so die Hilfsorganisation.
In Lwiw sollten die Hilfsgüter von ukrainischen Maltesern in Empfang genommen und weiterverteilt werden. Die Malteser haben nach eigenen Angaben mehrere Hundert Transporte innerhalb der vergangenen zwölf Monate in das Kriegsland geschickt.
Selenskyj-Vertrauter im DW-Interview
Russland setzt nach Angaben des Vize-Leiters des ukrainischen Präsidialamtes mutmaßliche Spionageballons als Teil mehrgleisig ausgeführter Luftangriffe ein. Igor Zhowka sagte der Deutschen Welle, die russischen Streitkräfte nutzten Marschflugkörper, ballistische Raketen, Drohnen und Ballons für ihre Angriffe auf ukrainische Städte.
Der ranghohe Mitarbeiter von Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederholte Kiews Forderung nach Kampfjets. Diese seien nicht nur gut für „den Schutz des Himmels“, sondern auch „sehr effektiv beim Abfangen der Raketen“, sagte Zhowka der DW.
Ukraine beschlagnahmt 250 Millionen Euro von russischem Oligarchen
Die Ukraine erhält nach einem Gerichtsbeschluss Vermögen des russischen Oligarchen Oleg Deripaska im Wert von umgerechnet 250 Millionen Euro. Der Oberste Anti-Korruptions-Gerichtshof der Ukraine habe eine Entscheidung des Justizministeriums in Kiew bestätigt, nach der Deripaskas Firmen, Grundstücke und Beteiligungen dem Staat übereignet werden, teilte der Geheimdienst mit. Die Ukraine will mit dem Geld Kriegsschäden kompensieren.
Deripaska, der Kremlchef Wladimir Putin nahesteht und als Unterstützer des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch im Westen mit Sanktionen belegt ist, gehört zu den reichsten Russen. Der Multimilliardär, der unter anderem im Aluminiumgeschäft reich geworden ist, habe über ein Firmengeflecht und Geschäftsstrukturen in verschiedenen Regionen der Ukraine Unternehmen geführt, hieß es. Er habe versucht, seine Eigentumsverhältnisse zu verschleiern.