Russland zensiert zunehmend LGBTQ-Inhalte

Von | 25. Januar 2023

Wer in Russland etwas Positives über die Liebe zwischen zwei Männern sagt, muss zur Strafe tief ins Portemonnaie greifen. Wer seinem Freund oder seiner Freundin in Sozialen Medien das Recht auf eine Geschlechtsumwandlung zugesteht, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Und wer einen Film öffentlich lobt, in dem sich zwei Frauen küssen, muss mit einem Gerichtsprozess rechnen. Dies alles ist in Russland verboten und kann mit einer Geldstrafe von bis zu fünf Millionen Rubel (umgerechnet ca. 6.500 Euro) belangt werden.

Seit über einem Monat gilt dort ein Gesetz, das so genannte „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ sowohl unter Jugendlichen als auch unter Erwachsenen bestrafen soll. Unter nicht-traditionellen Beziehungen verstehen russische Behörden schlicht die Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen.

Russiche Medienaufsichtsbehörde Hat derzeit alle Hände voll zu tun: Russlands Medienaufsichtsbehörde „Roskomnadsor“

Neben diesem Gesetz unterzeichnete Präsident Putin im vergangenen Dezember noch ein weiteres, das alternative Beziehungsmodelle kriminalisieren soll: Es verbietet die Verbreitung von Materialien, die „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen oder Vorlieben fördern“ – in Werbung, Büchern, Filmen und Medien.

Russland nimmt viele Filme und Bücher im Visier

Wie die russische Zeitung „Vedomosti“ mit Verweis auf das Staatliche Statistikamt berichtet, entwickelt die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor seitdem Kriterien zur Definition so genannter „LGBT-Propaganda“. Werbeprodukte, Filme, Bücher und Medienerzeugnisse, die zumindest einem dieser Kriterien entsprechen, sollen künftig in einem speziellen Register erfasst und für die Öffentlichkeit unzugänglich gemacht werden. Wer sie dennoch verbreitet, macht sich strafbar.

Wenn also ein Roman oder ein Fernsehbeitrag versucht, gleichgeschlechtliche Liebe „als attraktiv darzustellen“, eine „verzerrte Vorstellung der sozialen Gleichwertigkeit traditioneller und nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ darstellt oder dazu beiträgt, dass „die negative Einstellung gegenüber nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen in eine positive umgewandelt“ wird, muss dieser aus dem Handel, dem Regal oder dem Verleih verschwinden.

Eine erste Liste von Filmen, die diesen Kriterien entsprechen, sei bereits komplett, heißt es in der Zeitung. Sie sei bereits an verschiedene Video-Streaming-Dienste verschickt worden. Darunter seien etwa die Hollywood-Filme „Brokeback Mountain“ und „Call Me By Your Name“ sowie einige Episoden der TV-Serien „The Sex Lives of College Girls“ und „This is going to hurt.“

Russland Konzerthalle von Mosfilm film studio in Moskau Auch russische Kinobetreiber müssen aufpassen, welche Filme sie künftig zeigen, damit ihre Säle nicht leerbleiben

Am stärksten betroffen ist aber wohl die Bücherbranche. Oleg Nowikow, Leiter von „Eksmo-AST“, einer der größten Verlagsgruppen Russlands, klagte gegenüber dem Internetportal „Tinkoff Journal“, dass vage Formulierungen in den Gesetzen bis zu 50 Prozent der Buchtitel auf dem russischen Markt gefährden. Auch andere Verlage beklagten die weit gefassten Formulierungen im Gesetz. Die Verleger wüssten einfach nicht, welche Bücher verboten werden können.

Bereits viele Bücher vom russischen Markt entfernt

Im Gespräch mit der DW fürchtet Alexey Iljin, der Generaldirektor der Verlagsgruppe „Alpina“, dass die Anwendung des „LGBT-Gesetzes“ hohe Risiken mit sich bringen könnte. Potenzielle Gerichtsprozesse und Geldstrafen könnten das Geschäft ruinieren. Iljin räumt zwar ein, dass sein Verlag keine Werke „mit vordergründigem LGBT-Inhalt“ drucke und darum auch bisher keine Bücher aus dem Verkauf ziehen müsse, dennoch kenne er Buchläden, „die bereits viele Bücher entfernt haben, in denen gleichgeschlechtliche Liebe eine deutliche Rolle spielt.“ Iljin resümiert: „Bis vor kurzem war die Verlagsbranche nicht im Fokus des Staates und der Grad der Freiheit war relativ hoch. Jetzt haben die Behörden beschlossen, dass viele Bücher der staatlichen Politik schlicht widersprechen.“

Bereits Mitte Dezember sollen einige Moskauer Bibliotheken Listen von Büchern erhalten haben, die aus dem Regal genommen werden müssten. „Vor ein paar Monaten waren es noch Bücher so genannter ausländischer Agenten“, sagt Wladimir Kosarewskij, Leiter einer großen Moskauer Bibliothek, der DW. Dieses Mal aber seien darunter mehr als 60 Titel internationaler und russischer Autoren, unter anderem von Michael Cunningham, John Boyne, Stephen Fry, Haruki Murakami und Eduard Limonow.

Flash-Galerie Haruki MurakamiAuch einige seiner Werke sind mittlerweile in Russland auf dem Index: Literatur-Nobelpreisträger Haruki Murakami

Kosarewskij kritisiert diese aufgezwungene Bevormundung der Leser und sieht darin eine gefährliche Tendenz des russischen Staates, seine Bürger gleichzuschalten: „Man nimmt uns die Möglichkeit, unsere Meinung zu sagen, eine eigene Entscheidung zu treffen. Das Gesetz ist diskriminierend und muss so schnell wie möglich abgeschafft werden.“ Wenn das nicht geschehe, stelle sich die Frage, was wohl als Nächstes käme: „Wenn wir diese Situation jetzt hinnehmen, werden dann vielleicht als nächstes Mitglieder der LGBTQ-Community in Straflager geschickt? Umgebracht? Solche Dinge passieren allmählich, Schritt für Schritt.“

Gegen den Westen gerichtetes Feindbild

Dass der russische Staat so weit geht, glaubt Igor Kotschetkow nicht. Der schwule Moskauer Menschenrechtsaktivist erkennt im „LGBT-Propaganda-Gesetz“ in erster Linie antiwestliche Rhetorik. In Russland werde damit ein Feindbild geschaffen, das „anti-russische Ideen“ verkörpere und dem Staat schaden wolle. Dass die Diskussion darüber gerade jetzt – mitten im Krieg gegen die Ukraine – angeheizt wird, findet Kotschetkow logisch, denn das Volk solle sich hinter seiner Führung vereinen.

Seit Sommer vergangenen Jahres trichtere der Staat seinen Bürgern ein, dass Russland nicht gegen die Ukraine kämpfe, sondern gegen den so genannten kollektiven Westen, also die USA und die EU: „Es gibt Menschen, die tatsächlich glauben, dass das hilft, die öffentliche Meinung zugunsten der Unterstützung des Kriegs zu mobilisieren.“ Dies sei aber eine alte sowjetische Methode und werde nicht helfen, die Russen davon zu überzeugen, dass ihr Land einen gerechten Krieg führt.

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