Die meisten Regierungen in Lateinamerika haben den Überraschungsangriff der militant-islamistischen Hamas, die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft wird, verurteilt. Doch in offiziellen Reaktionen aus der Region schimmert selbst nach dem terroristischen Angriff auf Israel die ambivalente Haltung vieler Regierungen gegenüber dem Nahostkonflikt und der Rolle Israels durch.
Kolumbien: Präsident zieht Nazi-Vergleich
Beispielhaft dafür ist die Reaktion des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro. „Hätte ich 1933 in Deutschland gelebt, dann hätte ich auf der Seite der Juden gekämpft, und wenn ich 1948 in Palästina gelebt hätte, dann hätte ich auf der Seite der Palästinenser gekämpft „, schrieb Petro nach dem Angriff der Hamas auf Israel auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter. Auch verglich er die israelischen Vergeltungsschläge auf Gaza mit der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten.
Der israelische Botschafter in Kolumbien, Gali Dagan, kritisierte diese Äußerungen scharf und lieferte sich mit Petro einen Schlagabtausch auf X. Hier antwortete er dem Präsidenten: „In den Händen der terroristischen Hamas-Armee wurden mehr als 100 israelische Bürger aus ihren Häusern entführt.“ Als Antwort schrieb Petro wiederum, dass sich die kolumbianische Regierung dafür einsetze, „dass es auf dem gesamten Gebiet Palästinas und Israels keine einzige Geisel gibt“.
Am Samstag erklärte das kolumbianische Außenministerium in einer Pressemitteilung, dass die Regierung „den Terrorismus und die Angriffe auf die Zivilbevölkerung aufs Schärfste verurteilt“. Einen Tag später wurde das Kommuniqué allerdings durch eine neue Pressemitteilung ersetzt, in der das Wort „Terrorismus“ nicht mehr vorkam. Die Hamas wurde in keiner der beiden Versionen erwähnt. Stattdessen wird in den Schreiben die Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser unterstützt.
Bolivien: Nur milde Verurteilungen
Die Regierung Boliviens positionierte sich in ihrer Reaktion auf den Angriff der Hamas nicht eindeutig. Sie drückte zwar ihre „tiefe Besorgnis“ über die „gewalttätigen Ereignisse“ im „Gazastreifen zwischen Israel und Palästina“ aus, kritisierte aber auch die „Untätigkeit“ der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates angesichts dieser Ereignisse.
Nach dem Großangriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel verschärfte sich die Lage in Nahost weiter. Israel reagierte mit Vergeltungsschlägen und einer Blockade des Gazastreifens. Seit dem Angriff fliegt Israel auch weitere Luftangriffe auf den Gazastreifen. Laut Gesundheitsbehörden wurden bei den Luftangriffen über 800 Menschen getötet und über 4000 verletzt. Auf israelischer Seite zählte das Gesundheitsministerium etwa 900 Tote und etwa 2900 Verletzte.
Kuba, Bolivien und Venezuela: Keine Beziehungen zu Israel
Israel unterhält diplomatische Beziehungen zu allen Ländern Mittel- und Südamerikas und der Karibik, mit Ausnahme von Kuba, Bolivien und Venezuela. Die beiden letztgenannten Länder brachen die Beziehungen zu Israel 2009 aus Protest gegen einen damaligen Militäreinsatz im Gazastreifen ab.
Kuba und Venezuela waren in ihren Reaktionen daher deutlicher und vorhersehbarer als andere lateinamerikanische Regierungen. So schrieb etwa die kubanische Regierung, dass der Konflikt „eine Folge von 75 Jahren permanenter Verletzung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes und der aggressiven und expansionistischen Politik Israels“ sei.
Auch Venezuela verurteilte die Angriffe der militant-islamistischen Hamas nicht und forderte „echte Verhandlungen“ zwischen Israel und den Palästinensern zur Beendigung der Gewalt im Gazastreifen.
El Salvador: Vergleich mit kriminellen Banden
Im Gegensatz dazu stach die Reaktion des Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, hervor: „Als Salvadorianer palästinensischer Abstammung bin ich mir sicher, dass es das Beste für das palästinensische Volk wäre, wenn die Hamas vollständig verschwinden würde”, schrieb er auf X. Sie würde seiner Ansicht nach die Palästinenser nicht repräsentieren.
„Jeder, der die palästinensische Sache unterstützt, würde einen großen Fehler begehen, wenn er sich auf die Seite dieser Kriminellen stellen würde”, heißt es weiter. Außerdem verglich er die Hamas mit kriminellen Banden in El Salvador, wie etwa der Mara Salvatrucha (MS13), einer mächtigen Jugendbande, die unter anderem für gewalttätige Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Mord verantwortlich ist.
Der umstrittene Präsident Bukele hat den kriminellen Banden im Land den “Krieg“ erklärt. So hatte er im vergangenen Jahr einen Ausnahmezustand verhängt und Festnahmen ohne Haftbefehl ermöglicht. Er wird von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen kritisiert, die Menschenrechte im Land zu unterdrücken.
Argentinien, Chile, Brasilien: “Aufs Schärfste” verurteilt
In einer Pressemitteilung verurteilte die jüdische Gemeinde in Argentinien ebenfalls „aufs Schärfste die brutale mörderische Offensive der Terrorgruppe Hamas gegen Israel“. Argentinien hat mit über 200.000 Juden die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas und die sechstgrößte der Welt. Der argentinische Präsident Alberto Fernández brachte auf der Plattform X seine „energische Verurteilung und Zurückweisung des brutalen terroristischen Angriffs, den die Hamas vom Gazastreifen aus gegen den Staat Israel verübt hat“, zum Ausdruck.
Die chilenische Regierung verurteilte die Angriffe auf Israel „auf das Schärfste“ und sprach den Familien der Opfer ihr „Beileid und ihre Solidarität mit dem israelischen Volk“ aus. In einer Pressemitteilung bekräftigte die Palästinensische Gemeinschaft in Chile ihren Glauben an „die Suche nach einer friedlichen Lösung unter voller Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte“. Gleichzeitig erinnerte sie an „75 Jahre systematischer Verstöße durch Israel“. In Chile existiert eine der größten palästinensischen Gemeinden außerhalb des Nahen Ostens.
Auch Brasilien, das derzeit den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat, verurteilte die Angriffe auf Israel. In einer Erklärung rief das brasilianische Außenministerium zu „maximaler Zurückhaltung“ auf allen Seiten auf, um eine Eskalation der Situation zu vermeiden.
Mexiko: Grundlegende Lösung notwendig
Die mexikanische Regierung betonte die Notwendigkeit einer grundlegenden Lösung des Konflikts. „Mexiko befürwortet eine umfassende und endgültige Lösung des Konflikts unter der Prämisse von zwei Staaten, die den legitimen Sicherheitsbedenken Israels Rechnung trägt und die Konsolidierung eines politisch und wirtschaftlich lebensfähigen palästinensischen Staates ermöglicht, der Seite an Seite mit Israel innerhalb sicherer und international anerkannter Grenzen im Einklang mit den einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen lebt“, erklärte die mexikanische Außenministerin Alicia Bárcena.