Kein Ende der tödlichen Gewalt, auch nicht nach 20 Jahren: Allein im Februar wurden im Irak mindestens 52 Zivilisten erschossen, durch Bomben zerfetzt, bei Anschlägen getötet. Die Gewalt von heute ist das Echo des Angriffs, der in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 begann, als US-Schiffe 40 Raketen auf das Regierungsviertel von Bagdad abfeuerten.
Militärisch hatte der Irak der großangelegten Invasion der „Koalition der Willigen“ aus USA, Großbritannien, Australien und Polen nichts entgegenzusetzen. Nach drei Wochen war der brutale Diktator Saddam Hussein gestürzt. Und sechs Wochen nach Kriegsbeginn verkündete ein triumphaler Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 vor martialischer Kulisse auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln das Ende größerer Kampfhandlungen.
Bis dahin hatte die US-geführte Koalition nach Statistiken des US-Militärs knapp 29.200 Bomben abgeworfen und Raketen abgefeuert. Große Teile der Infrastruktur des Landes lagen in Trümmern. Und nach Angaben der angesehenen britischen Nichtregierungsorganisation Iraq Body Count hatten über 7000 Zivilisten ihr Leben verloren.
Eine Zahl, die noch gewaltig ansteigen sollte. Die Gesamtzahl der Todesopfer des Irakkriegs liegt je nach Schätzung zwischen 200.000 und einer Million Menschen; die angesehene medizinische Fachzeitschrift „Lancet“ kam bereits 2006 auf eine Zahl von über 650.000 „zusätzliche Todesfälle“. Da war der Irak-Krieg noch lange nicht vorbei; erst 2011 sollten die US-Soldaten abziehen. Vorläufig. Sie sollten wiederkommen, um den Irak im Kampf gegen die Terrormiliz IS zu unterstützen. Auch deutsche Soldaten sind noch heute im Irak stationiert: zur Zeit 120, bestätigte das Verteidigungsministerium der DW.
Den Krieg gewonnen, den Frieden verloren
Denn der Aufbau eines neuen, demokratischen Iraks nach westlichen Vorstellungen erwies sich als sehr viel schwieriger, als die politische Klasse in den USA sich das in ihren schöngefärbten Strategiepapieren ausgemalt hatte: Es entstand eben keine wohlhabende, westlich geprägte, demokratische Insel im Nahen Osten. Ohne ausreichende Planung war die US-geführte Besatzung überfordert von den komplexen ethnischen und religiösen Bruchlinien im Land.
Am 19. August 2003 riss eine Autobombe vor dem UN-Hauptquartier in Bagdad 22 Menschen in den Tod – der blutige Beginn einer Aufstandsbewegung und jahrelangen Bürgerkrieges. Im Ergebnis hält Dan Smith, Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, im DW-Gespräch deshalb die US-Invasion für den „anmaßenden Ausdruck des westlichen Glaubens, dass sie ein Land und eine regionale Ordnung nach ihren Wünschen umgestalten können“.
Javier Solana, immerhin ehemals NATO-Generalsekretär und EU-Außenbeauftragter, zog die bittere Bilanz: „Wenn die Mission war, den Irak vom Terror zu befreien, das Land wiederaufzubauen und die Sicherheit auf allen Ebenen zu erhöhen, war sie ein absoluter Fehlschlag.“
Bruch des Völkerrechts
Vor allem aber war der Angriff auf den Irak eine „völkerrechtswidrige Gewaltanwendung unter Verletzung der UN-Satzung“, wie der Göttinger Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos gegenüber der DW ausführt. „Die Invasion im Irak hatte keine Grundlage durch eine Resolution des UN-Weltsicherheitsrates. Daneben bleibt nur die Möglichkeit, die Gewaltanwendung über eine Selbstverteidigung zu rechtfertigen, über Artikel 51 der UN-Satzung. Was in diesem Fall offensichtlich auch nicht gegeben war.“ Weshalb auch UN-Generalsekretär Kofi Annan den Irakkrieg als völkerrechtswidrig bezeichnete.
Deutschland hatte sich der Teilnahme an dem Krieg zwar verweigert. Aber durch die Bereitstellung von Stützpunkten und Überflugrechten für die Invasionstruppen leistete Berlin nach Einschätzung von Ambos „Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Akt“.
Eine Folge des Völkerrechtsbruchs fasste Jürgen Habermas, sicher einer der bedeutendsten deutschen Intellektuellen, schon kurz nach Kriegsbeginn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in die Worte: „Machen wir uns nichts vor: die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern.“ Geradezu hellsichtig warnte der Philosoph, die USA würden mit ihrem völkerrechtswidrigen Vorgehen „künftigen Supermächten ein verheerendes Beispiel geben“.
Folter und Kriegsverbrechen
Das Ansehen der USA wurde weiter beschädigt durch Fälle von Kriegsverbrechen und Folter. Im Frühjahr 2004 zum Beispiel ging der Name Abu Ghraib um die Welt: Ein Gefängnis des Grauens schon unter Saddam Hussein. Jetzt zeigten Fotos, wie hier US-Soldaten folterten.
Immer wieder kam es zu Massakern an der Zivilbevölkerung. So wie in Hadhita, wo 2005 US-Marines 24 unbewaffnete Zivilisten erschossen. Oder wie 2007 am belebten Nisur-Platz in Bagdad, wo Mitarbeiter der privaten Söldnertruppe Blackwater mit Sturm- und Maschinengewehren willkürlich in eine Menschenmenge gefeuert und 17 Menschen getötet haben. Oder so wie auf dem von Wikileaks veröffentlichten „Collateral Murder“ Video: Da schießen zwei Kampfhubschrauber mit 30-mm-Kanonen auf unbewaffnete Zivilisten. Mindestens 12 Menschen sterben, darunter zwei Reuters-Journalisten; zwei Kinder werden schwer verletzt.
Kriegsgrund fällt in sich zusammen
Die USA hatten zwei Gründe für ihre Regimewechsel-Operation angeführt: Die angebliche Gefahr durch irakische Massenvernichtungswaffen sowie vermeintliche Verbindungen Saddam Husseins zu Al-Kaida. Nichts davon stimmte. Im Irak wurden nach der Invasion keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Und auch die unter Folter zustande gekommen Hinweise auf Verbindungen des irakischen Diktators zu den Attentätern des 11. Septembers erwiesen sich als falsch.
Die falschen Geheimdienstinformationen hatten einen Grund, erklärt im DW-Gespräch der Harvard-Politikwissenschaftler Stephen Walt: „Sie hatten die Entscheidung bereits getroffen und suchten nur noch nach Gründen. Es war nicht so, dass die Entscheidungen auf Informationen basierten: Sie manipulierten die Informationen, um zu rechtfertigen, was sie bereits entschieden hatten.“
Höhepunkt der Kampagne, um eine kriegsskeptische Öffentlichkeit zu überzeugen, war eine sorgfältig inszenierte Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell am 5. Februar 2003 bei den Vereinten Nationen in New York. Powell legte zahlreiche vermeintliche „Beweise“ vor, nach denen der Tyrann in Bagdad bereits über biologische Massenvernichtungswaffen verfügen sollte und mit Hochdruck an Atombomben arbeiten lasse. Zwei Jahre später bezeichnete Powell diese Rede als „Schandfleck“ und distanzierte sich. „Ich bin derjenige, der im Namen der Vereinigten Staaten der Welt falsche Informationen vorgeführt hat, und das wird für immer Teil meines Lebens bleiben“, gab sich der Ex-Außenminister selbstkritisch.
Schon lange im Visier
Schon lange hatte es in den USA Rufe nach einem Regimewechsel im Irak gegeben. 1998 war dieser Ruf unter der Clinton-Administration mit dem „Iraq Liberation Act“ offizielle Politik geworden. Und noch bevor Al-Kaida-Terroristen am 11. 09. 2001 die Twin Towers des World Trade Centers in New York zum Einsturz brachten, drängten Falken in der noch jungen Regierung von George W. Bush auf den Sturz von Saddam Hussein.
Der US-Historiker und Außenpolitikexperte Stephen Wertheim begründet das im DW-Gespräch so: „Saddam stellte eine Herausforderung der Vereinigten Staaten dar – einfach, indem er nach dem Golfkrieg 1991 überlebt hat. Die Vereinigten Staaten hatten gehofft, dass er gestürzt würde, aber er blieb im Amt. Und er war ein Hindernis für die Ausübung amerikanischer Hegemonie im Nahen Osten.“ Der nach 9/11 ausgerufene Krieg gegen den Terror eröffnete die Chance zur Umsetzung der Pläne. Denn „der Präsident hatte einen weiten Spielraum, um die öffentliche Wut zu kanalisieren und die Reaktion zu gestalten“, wie Wertheim festhält.
Ein Jahrzehnt nach dem Ende der Sowjetunion fühlten sich die USA auf dem Gipfel ihrer Macht. Von den Regeln der UN-Charta wollte sich die US-Administration in diesem unipolaren Moment nicht einschränken lassen. Politikwissenschaftler Stephen Walt beschreibt diese Haltung so: „Die Amerikaner reden gerne über die regelbasierte Ordnung und wie wichtig sie ist. Aber es sind Regeln, die wir gerne verletzen, wenn es für uns unbequem ist, sie genau zu befolgen.“
Heute, vermutet Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos, ist es unter anderem diese Haltung, die so viele Staaten von Brasilien über Südafrika bis Indien Abstand halten lässt, wenn es um die Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine oder die Umsetzung von Sanktionen gegen Moskau geht. „Diese offensichtliche Doppelmoral wird gerade im globalen Süden zur Kenntnis genommen“, sagt der Göttinger Völkerrechtler. „Und das fällt uns jetzt auf die Füße.“