Sie hatten es kommen sehen. Schon vor geraumer Zeit hatten 730 Mitglieder der Grünen in Deutschland einen offenen Brief geschrieben, in dem sie vor einer Verschärfung des EU-Asylrechts als einem Kurs der „Abschreckung und Abschottung“ warnten. Doch nun haben sich die EU-Innenminister auf genau diesen Kurs geeinigt. Für viele Grüne kommt das einem Verrat an der traditionell flüchtlingsfreundlichen Politik der Partei gleich.
In ihrem Wahlprogramm hatten die Grünen 2021 eine Verschärfung des Asylrechts abgelehnt und ihre Politik auch im Koalitionsvertrag mit SPD und FDP festgeschrieben. „Wir wollen das Leid an den Außengrenzen beenden“, heißt es auf Seite 112 unter dem Punkt „Europäische und internationale Flüchtlingspolitik“. Und weiter: „Wir wollen bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten.“
Grünes Licht von oben
Doch was die EU-Innenminister in Luxemburg vereinbart haben, ist für viele Grüne alles andere als mehr Schutz für Schutzsuchende. Migranten aus als sicher geltenden Ländern ohne Bleibeperspektive sollen künftig in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen an der EU-Außengrenze kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
Gegen den Willen der Parteibasis hatten die Spitzen der Grünen, also Minister und führende Politiker in der Partei und in der Bundestagsfraktion, im Vorfeld des Treffens in Luxemburg grünes Licht für einen Asyl-Kompromiss gegeben. Dies sei die einzige realistische Chance, auf absehbare Zeit überhaupt zu einem geordneten und humanen Verteilungsverfahren in der EU zu kommen, hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gesagt.
Zerreißprobe für die Partei
Allerdings hatte Baerbock in Aussicht gestellt, „dass Familien mit Kindern nicht ins Grenzverfahren kommen, dass das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt wird“, so die Außenministerin im Vorfeld gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das aber war auf EU-Ebene nicht durchzusetzen.
Ein Punkt, der selbst in der Parteiführung Entsetzen auslöst und die Grünen nun vor eine Zerreißprobe stellt. Sogar die Doppelspitze ist uneins. Grünen-Chefin Ricarda Lang meint, Deutschland hätte unter diesen Umständen dem Kompromiss nicht zustimmen dürfen, Grünen-ChefOmid Nouripour findet die Einigung zwar problematisch, spricht aber von einem „notwendigen“ Schritt.
Brief an die Fraktion
So sieht es auch Außenministerin Baerbock. Sie halte die Einigung für richtig, weil sich der Status Quo für viele Geflüchtete dadurch verbessern werde. Die Entscheidung sei ihr „als Außenministerin, als Grüne und auch persönlich“ allerdings sehr schwergefallen, schrieb sie in einem Brief an die grüne Bundestagsfraktion, in dem sie um die Zustimmung der Parlamentarier bittet.
Doch sogar Co-Fraktionschefin Katharina Dröge will ihr nicht folgen. In den Verhandlungen seien zwar „Verbesserungen“ erreicht worden. „Aber für mich werden sie dem Anspruch auf Solidarität und Humanität in Europa nicht ausreichend gerecht.“ Die Migrationsexpertin der Fraktion, Filiz Polat, sprach von einem „Beispiel für das Einknicken vor rechten Narrativen auf Kosten der Menschenrechte“.
Retten, was zu retten ist
Der grüne Abgeordnete Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Deutschen Bundestags, kündigt Widerstand an und sieht die gesamte Partei in der Pflicht. „Angesichts des höchst problematischen Asylkompromisses muss man von der gesamten Grünen-Führung jetzt erwarten, dass sie ihr Möglichstes tut, damit die Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt“, sagte Hofreiter in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Die beschlossene Verschärfung sei nicht nur menschenrechtlich problematisch, sondern schade auch dem Ansehen Deutschlands und Europas in sehr vielen Ländern dieser Welt, sagte der Grüne. „Deshalb ist sie angesichts der Weltlage auch geostrategisch falsch.“
Die FDP stichelt gegen die Grünen
Während sich bei den Grünen der Widerstand formiert, wird SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die für Deutschland in Luxemburg verhandelte, von der FDP gelobt. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach von einem „Erfolg nach etlichen Jahren des politischen Stillstands“ und dankte Faeser, die dem „Druck des grünen Koalitionspartners standgehalten“ habe. „Hätte sich die grüne Position durchgesetzt, wäre eine EU-Einigung auf ein neues Asylsystem an Deutschland gescheitert.“
Allerdings ist die Frage eines besseren Schutzes von Familien mit minderjährigen Kindern noch nicht vom Tisch. Deutschland hat beim Asyl-Kompromiss gemeinsam mit Luxemburg, Portugal und Irland eine Protokollnotiz abgegeben. Die Initiative kam von der grünen Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Damit mache Deutschland klar, „dass die Bundesregierung weiter für dieses Ziel kämpft“, so Paus.