EU und Türkei: Spannungen bleiben

Von | 29. Mai 2023

Wie sieht die EU ihr Verhältnis zur Türkei?

Die EU-Kommission in Brüssel blickt kritisch auf die zunehmend autoritäre Herrschaft von Präsident Tayyip Recep Erdogan. „Die schweren Bedenken wegen des Verfalls der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Unabhängigkeit der Justiz sind nicht beachtet worden“, schreiben die EU-Beamten des Auswärtigen Dienstes in ihrem jüngsten Türkei-Bericht von 2022.

Es gehe stattdessen weiter abwärts. „Die Sorgen über die Wirtschaftspolitik und das Funktionieren der Marktwirtschaft sind weiter gewachsen.“ Trotzdem, so der Bericht, bleibe die Türkei ein strategisch wichtiger Partner bei den Themen Migration, Klimaschutz und Energiesicherheit.

Eine wichtige Rolle spielt das militärisch gut ausgestattete NATO-Mitglied Türkei als Vermittler des Getreidehandel-Abkommens zwischen Russland und der Ukraine. 

Bulgarien EU- Türkei Gipfel: Präsident Donald Tusk, Tayyip Erdogan und Jean-Claude Juncker Schon fünf Jahre her: Letzter gemeinsamer Gipfel der EU mit dem türkischen Präsidenten Erdogan (Mi.) in Varna, Bulgarien

Heftige Kritik übten die Staats- und Regierungschefs der EU an den Drohgebärden der Türkei gegenüber den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern. Die Türkei hat mehrfach griechisches und zyprisches Hoheitsgebiet mit ihrer Luftwaffe oder ihrer Marine verletzt.

Die EU hat die türkischen Behörden immer wieder aufgefordert, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu achten und zum Beispiel den Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala freizulassen. Kavala wurde 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er sich angeblich an regierungskritischen Protesten 2013 im Istanbuler Gezi-Park beteiligt haben soll. Diese werden von der AKP-Regierung als Umsturzversuch gedeutet und Kavalas Beteiligung folglich als Putschversuch gewertet.

Europa Türkei Osman Kavala ARCHIV Nur einer von vielen Fällen: Osman Kavala muss frei kommen, fordert die EU (Archiv)

Was sagt die Türkei?

In einer Analyse des türkischen Außenministeriums heißt es hingegen, es gehe „immer mal wieder aufwärts und dann wieder abwärts“. Das sei schon viele Jahrzehnte prägend für das Verhältnis von Türkei und EU.

Nach dem angeblichen Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan im Juli 2016, auf den die Türkei mit Notstandgesetzen und Einschränkung demokratischer Rechte reagierte, hätten sich die Beziehungen sehr verschlechtert, räumt das Ministerium ein.

„Die kalte und kritische Haltung der EU im Nachgang des hinterhältigen Coups vom 15. Juli (2016) hat eine Vertrauenskrise verursacht. Die Tatsache, dass die EU den Einfluss der ‚FETÖ‘-Terrororganisation nicht begreift und entsprechende Maßnahmen der Türkei kritisiert, hat den Dialog geschwächt.“ Unter „FETÖ“ versteht der türkische Präsident eine angeblich terroristische Verschwörung, angeführt von dem in den USA lebenden Prediger Fetullah Gülen.

Türkei Grenze zu Griechenland | Flüchtlinge in Edirne Flüchtlinge 2020 im Niemandsland zwischen Türkei und Griechenland: Erdogan machte Druck auf die EU

Trotzdem bleibt die EU für die Türkei ein wichtiger strategischer Partner. Besonders die Bedeutung des Flüchtlings-Abkommens von 2015 wird hervorgehoben. Die Türkei hält syrische Flüchtlinge, von denen rund 3,5 Millionen in der Türkei leben, zurück. Dafür erhielt die Regierung in Ankara bislang fast neun Milliarden Euro an finanziellen Hilfen – ausgezahlt oder zugesagt.

Das Abkommen ist allerdings brüchig. 2020 öffnete Präsident Erdogan kurzzeitig die Landesgrenze zu Griechenland bei Edirne und setzte die Flüchtlinge als politisches Druckmittel ein.

Trotz allem: Die türkische Regierung verfolgt nach wie vor das Ziel, irgendwann der EU beizutreten. Zunächst müsse aber die EU ihre internen Probleme lösen, heißt es dazu vom Außenministerium in Ankara.

Ist die Türkei immer noch Beitrittskandidat?

Brüssel hat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei 2018 faktisch ausgesetzt. Sie wurden aber nicht abgebrochen. Die Verhandlungen, die bereits seit 2005 laufen, könnten nach der Präsidentschaftswahl wieder belebt werden.

Voraussetzung wäre allerdings, dass die Türkei zumindest die Republik Zypern als EU-Mitglied indirekt anerkennt. Türkische Truppen halten seit fast 50 Jahren den Nordteil Zyperns besetzt.

„Die Beitrittsbemühungen sind nicht tot, aber in einem Koma“, meint dazu die Türkei-Expertin Amanda Paul von der Denkfabrik „European Policy Centre“ in Brüssel.

Amanda Paul | Senior Analyst, European Policy Centre Amanda Paul erwartet keine besseren Beziehungen der Türkei zur EU

Mit Recep Tayyip Erdogan an der Macht gebe es wenig Aussicht, das Koma zu beenden. Das hänge aber nicht nur von Ankara ab, sondern auch von der EU, so Amanda Paul im Gespräch mit der DW.

Bei den Mitgliedsstaaten und in Brüssel sei das Interesse im Moment eher gering, sich mit der immer mehr nationalistisch ausgerichteten Türkei zu beschäftigen. „Die Mitgliedschaft in der EU ist immer noch sehr populär bei den Türken. Rund 70 Prozent der Bevölkerung wollen der EU immer noch beitreten“, gibt die Analystin Amanda Paul zu bedenken.

Wie geht es nach der Wahl weiter?

„Es ist eine schwierige Beziehung, die sich mit der Zeit immer weiter verschlechtert hat. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht an positive Veränderungen“, sagt Amanda Paul.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat beim Treffen mit ihrem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Istanbul im Juli 2022 deutliche Kritik an der Türkei geübt. Sie hat aber auch erkennen lassen, dass man keine weitere Konfrontation gebrauchen könne, da der Westen in der Form der NATO zusammengehalten werden müsse, um Russland abzuwehren.

Infografik Kandidatenstatus EU-Beitritt Ukraine Osteuropa DE

„Zu Freundschaft gehört auch, einander zuhören, bis die Ohren schmerzen“, hatte Annalena Baerbock damals in ihrer Pressekonferenz in Istanbul gesagt, immerhin sprach sie von Freundschaft. Die EU und die NATO erwarten, dass die Türkei nach der Wahl endlich ihre Zustimmung zur Aufnahme Schwedens in die militärische Allianz gibt.

Präsident Erdogan hatte die schon vor fast einem Jahr beschlossene Aufnahme Schwedens und Finnlands zunächst – mutmaßlich aus wahltaktischen Gründen – blockiert. Das Veto gegen Finnland zog er im April zurück. Jetzt soll im Juli das OK für Schweden folgen.

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