Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, den Wohlstand Deutschlands nicht nur am Bruttoinlandsprodukt zu messen. Beim ersten Besuch eines Regierungschefs aus dem Himalaya-Königreich Bhutan zeigte sich der Kanzler angetan von dem dort verwendeten Index, der andere Indikatoren als die reine Wirtschaftskraft berücksichtigt und „Bruttonationalglück“ genannt wird.
„Bhutans Idee, das Glücksgefühl seiner Bürger einzubeziehen, ist faszinierend“
„Bei der Messung von Wohlstand spielt Bhutan eine Vorreiterrolle“, sagte Scholz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ministerpräsident Lotay Tshering in Berlin. „Bhutans Idee, das Glücksgefühl seiner Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, ist faszinierend.“ Mit dem ersten Jahreswirtschaftsbericht der Ampel-Regierung sei ein Schritt gemacht worden, indem man dort auch soziale und ökologische Indikatoren berücksichtigt habe. Das war im Koalitionsvertrag so vereinbart und vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck so umgesetzt worden.
Die Idee für das Bruttonationalglück hatte bereits in den frühen 1970er Jahren der damalige König Jigme Singye Wangchuck. Es basiert auf Indikatoren wie gutes Regieren, nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung, Kulturförderung und Umweltschutz. Dazu sagte Scholz: „Ich finde es sehr sinnvoll, unseren Wohlstand nicht nur anhand von ökonomischen Größen zu messen, sondern auch nicht-materielle Faktoren einzubeziehen.“
Bhutan gilt als einziges klimaneutrales Land der Welt
Tshering seinerseits wollte sich nicht dazu äußern, ob er das Prinzip für auf Deutschland übertragbar hält: „Das weiß ich wirklich nicht.“ Er selbst renne auch nicht durch die Gegend und predige Glück. „Es ist eine Regierungs-Philosophie oder ein Konzept, dem wir folgen.“ Alle Regierungsmitglieder Bhutans würden dieser Philosophie im Alltag folgen und sie dann auch auf ihre Arbeit übertragen.
Das Bruttonationalglück ist indes nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal des asiatischen Landes. Es gilt auch als einziges klimaneutrales Land der Welt. Das heißt: Es werden mindestens so viele klimaschädliche Gase abgebaut wie ausgestoßen. Bhutan erreicht das durch riesige Wälder, die mehr als zwei Drittel der Landesfläche bedecken und massenweise Kohlendioxid binden. Dass es mindestens 60 Prozent Wald sein müssen, ist in der Verfassung festgeschrieben.
„Wenn wir Deutsch lernen sollen, tun wir das gerne“
Tshering betonte den Willen seines Staates, enger mit Deutschland vor allem bei der Bildung zusammenzuarbeiten. „Wenn wir dafür Deutsch lernen sollen, tun wir das gerne“, sagte er mit Blick auf die Berufsausbildung. Er hoffe, dass es in seinem Land in „zehn bis 15 Jahren“ berufliche Ausbildungseinrichtungen nach deutschem Standard geben werde. Außerdem solle Deutschland dem Land beim Ausbau der Sonnen- und Windenergie helfen. Bhutan baut sehr stark auf Wasserkraft, in der Trockenphase nimmt die Stromproduktion aber laut Tshering wegen des Klimawandels mittlerweile um bis zu 65 Prozent ab.
Bhutan liegt zwischen den beiden Großmächten Indien und China mitten im Himalaya-Gebirge, hat weniger als 800.000 Einwohner und ist etwa so groß wie Baden-Württemberg. Das buddhistische Land mit seinen mehr als 7000 Meter hohen Gipfeln, das in der eigenen Sprache „Land des Donnerdrachens“ heißt, zählt zu den am stärksten abgeschotteten in der Welt. Mit Deutschland nahm es erst im November 2020 diplomatische Beziehungen auf.