Der Anführer der freien Welt und der Kremlchef in Moskau hielten am gleichen Tag eine grundsätzliche Ansprache. Joe Biden, der amerikanische Präsident, in Warschau. Wladimir Putin, der russische Präsident, der vor einem Jahr den Angriff auf die Ukraine befahl, hielt seine in Moskau. Eine Art Fernduell. Doch es ging nicht um einen Wettbewerb wie in einem Debattier-Klub, sondern um Fragen von Krieg und Frieden, Leben und Tod. Darauf hatte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan noch einmal hingewiesen.
Putin warf der Ukraine, der USA und dem seiner Ansicht nach „arroganten“ Westen vor, den Krieg in der Ukraine begonnen zu haben. Russland müsse sich nun verteidigen. Diese absurde Behauptung ignorierte Joe Biden dann aber nicht, sondern wandte sich in seiner Rede direkt an das russische Volk. „Der Westen plant keine Attacke auf Russland“, rief Biden. „Putin hat diesen Krieg gewählt. Er kann ihn mit einem Wort beenden.“ Die Ukraine könne nicht aufhören zu kämpfen, weil sie dann aufhören würde zu existieren, so der amerikanische Präsident.
Kritik an Putins Drohgebärden
Putin kündigte in Moskau an, Russland werde den letzten großen Vertrag der Supermächte zur Begrenzung der Atomwaffen aussetzen. Die NATO und auch der amerikanische Außenminister, Anthony Blinken, bezeichneten dies als unverantwortlich und forderten Russland auf, diesen Schritt zu überdenken. Der Sicherheitsexperte Stefan Meister von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sprach von „Säbelrasseln aus Moskau“. Er gehe nicht davon aus, dass Putin „nuklear eskalieren“ wolle, sagte Meister der DW.
„Freiheit wird gewinnen“
Im Garten des königlichen Warschauer Schlosses sagte Joe Biden vor Tausenden jubelnden Zuschauerinnen und Zuschauern, es gehe bei der Auseinandersetzung mit Russland um den Kampf zwischen Diktatur und Freiheit. Die Freiheit sei das „süßeste Wort“, das edelste Ziel. „All das, was wir jetzt tun, machen wir, damit unsere Kinder und Kindeskinder sie auch erfahren: Freiheit!“
Freiheit sei die Feindin der Tyrannen, so Biden weiter. Wladimir Putin erlebe etwas, das ihm vor einem Jahr nicht im Traum eingefallen wäre. „Die Demokratien sind heute stärker, nicht schwächer. Die Autokratie ist schwächer, nicht stärker.“
Noch ganz unter dem Eindruck seines überraschenden Besuchs in Kiew würdigte der Präsident die Opfer, die die Menschen in der Ukraine auf sich nähmen, um frei zu bleiben. „Es war mir eine Ehre die Helden der Ukraine zu ehren, die ihr Leben gegeben haben“, sagte Biden, der zusammen mit dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj ein Mahnmal in Kiew besucht hatte. „Wir stehen zu den Lehrern, den Krankenschwestern, Rettungssanitätern und den Arbeitern in den Städten überall in der Ukraine, die versuchen die Stromversorgung aufrecht zu erhalten, trotz der grausamen russischen Bombenangriffe.“
„Solange es nötig ist“
Anders als vor elf Monaten bei seinem ersten Besuch in Warschau nach Beginn des Krieges äußerte sich Joe Biden diesmal nicht zu Putin persönlich. Damals hatte er noch gesagt, „dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“. Kein Wort zu einem Regimewechsel, allerdings die klare Ansage, dass diejenigen, die für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, am Ende zur Verantwortung gezogen werden.
Wie erwartet erneuerte der amerikanische Präsident die „unverbrüchliche Verpflichtung“ der USA, die NATO zu verteidigen und der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland beizustehen, mit Finanzmitteln, Waffen und Munition, solange es nötig sei. Konkreter wurde Joe Biden allerdings nicht. Er nannte keine Waffensysteme oder Zeiträume, sagte allerdings, dass die Entscheidungen, die „wir in den nächsten fünf Jahren treffen, unser Leben auf Jahrzehnte hinaus bestimmen werden.“
Besonderer Partner Polen
Der polnische Gastgeber, Präsident Andrzej Duda, war hochzufrieden mit dem zweiten Besuch des amerikanischen Gastes in elf Monaten. Duda dankte für den „symbolischen Besuch“ und die Unterstützung durch die USA. „Amerika wird den Westen und seine Werte immer verteidigen“, sagte Duda als er Biden an einem langen Konferenztisch im Präsidentenpalast gegenübersaß. Joe Biden lächelte und belegte mit Anekdoten aus seiner Zeit als junger US-Senator in den 1980er Jahren seine besondere Wertschätzung für Polen. Schon damals habe er das Ende des Kommunismus und den Freiheitswillen der Polen vorausgesagt, erzählte der Präsident, obwohl ihn Kollegen davor warnten, sich lächerlich zu machen.
Konkrete Zusagen für mehr US-Soldaten, die in Polen stationiert werden könnten, gab es nicht. 10.000 sind bereits im Lande, hauptsächlich als Einheiten, die einige Monate bleiben und dann ausgetauscht werden. „Ein Besuch wie dieser ist offensichtlich ein Symbol dafür, wie wichtig und relevant Polen in der internationalen Politik geworden ist, besonders im Zusammenhang mit der Ukraine“, meinte der Politikwissenschaftler Marek Madej von der Universtität Warschau im Gespräch mit der DW. Die Ansicht vieler polnischer Politikerinnen und Politiker, vor allem in der nationalkonservativen Regierung, dass Polen nun der bevorzugte Verbündete der USA in Europa sei, teilte Marek Madej nicht unbedingt. „Die Konzentration auf Polen ist wegen der Tatsache, dass alle Transporte in die Ukraine nun einmal durch Polen gehen müssen, keine Frage von Bevorzugung. Es ist eine Frage von reiner Logik, geopolitischer Logik.“
Gäbe es den Krieg gegen die Ukraine nicht, wäre das Verhältnis zwischen Joe Biden und Andrzej Duda womöglich weniger herzlich. Schließlich war Duda ein glühender Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, dem politischen Widersacher Joe Bidens, der Polen mehr US-Truppen versprochen hatte. „Joe Biden ist ein gewiefter Politiker mit einer Menge Erfahrung. Er weiß, wie der Hase läuft. Die beiden Präsidenten werden kooperieren, auch wenn es keine besondere persönliche Chemie zwischen ihnen gibt“, beschreibt Politikwissenschaftler Madej das Verhältnis zwischen dem liberalen Demokraten Biden und dem nationalkonservativen Duda.
Wie lange ist „solange wie nötig“?
Eine Andeutung, wie der russische Krieg gegen die Ukraine, den Putin immer noch „Spezialoperation“ nennt, beendet werden könnte, war in keiner der Reden zu hören. Weder ließ der russische Präsident irgendeinen Willen zu Verhandlungen erkennen, noch rückte der amerikanische Präsident von der Vorstellung ab, die Ukraine und damit der Westen müssten den Krieg gewinnen. Putin behauptete, Russland könne noch lange durchhalten. Biden drohte mit mehr Sanktionen und einem langen Atem der Verbündeten.
Die Frage für die USA ist jetzt, wie sich China in dem Konflikt verhalten wird. Die Regierung in Peking hat einen Friedensplan angekündigt und will vermitteln. Die USA kritisieren, dass China den Russen bald tödliche Waffen liefern könnte, weil dem Angreifer die Ressourcen ausgingen. Wie lange wird also „solange wie nötig“ sein? Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gab in einem Interview mit CNN die Antwort: „Ich denke, es wäre klug, sich auf einen langen Krieg einzurichten.“