Wenn an diesem Wochenende Afrikas Staats- und Regierungschefs am Sitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba aufschlagen, steht ein Thema schon fest: „Der diesjährige AU-Gipfel wird im Zeichen der Frage stehen, wie wir die Afrikanische Freihandelszone AfCFTA voranbringen können“, sagte der Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, Meles Alem Tekea, bei einem Journalisten-Briefing im Vorfeld der Konferenz. Neben 51 afrikanischen Delegationen würden auch eine Reihe von Nicht-AU-Ländern erwartet – namentlich Portugal, Spanien, Katar, Norwegen und Japan.
Ein Inselstaat für den kontinentalen Freihandel
Turnusmäßig wird Senegals Präsident Macky Sall den Vorsitz der Afrikanischen Union übergeben an Azali Assoumani, den Präsidenten der Komoren. Der Inselstaat wird nach massiver Lobbyarbeit zum ersten Mal in der Geschichte der Afrikanischen Union die Präsidentschaft der Institution übernehmen, nachdem Kenia seine Kandidatur zurückgezogen hatte, bestätigtSolomon Muchie Abebe, Journalist und Mitbegründer der äthiopischen Medienvereinigung EMMPA, der das Gipfeltreffen für die DW beobachtet.
Vom neuen AU-Vorsitzenden werde erwartet, dass er den Ausbau der Afrikanischen Freihandelszone zu einer seiner Prioritäten erkläre, so Solomon. Der Startschuss zur weltgrößten Freihandelszone war bereits 2021 erfolgt, doch in der Umsetzung hapert es – bis letzten Dezember hatten nur eine gute Handvoll Länder überhaupt Güter im Rahmen des Abkommens gehandelt.
Freihandelszone: Noch viel Misstrauen
Die afrikanische Freihandelsabkommen zielt darauf ab, den Handel und die wirtschaftliche Integration innerhalb Afrikas zu fördern. Doch die Idee eines afrikanischen Binnenmarktes mit weitgehender Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen und Menschen stoße nicht überall in Afrika auf uneingeschränkte Unterstützung, so die kenianische Diplomatin Maureen Achieng, die beim AU-Gipfel die Wirtschaftsgemeinschaft am Horn vom Afrika „Intergovernmental Authority on Development“ (IGAD) vertritt und selbst für eine zügige Umsetzung wirbt.
Es gebe immer noch Befürchtungen, dass es im Zuge der AfCFTA zu unkontrollierten Migrationsbewegungen kommen könne und dass dadurch Dumpingverhältnisse auf den Arbeitsmärkten verstärkt werden könnten. „Zu Unrecht“, so Achieng in einer Stellungnahme auf der Internetplattform der Afrikanischen Union: „Es gibt all diese falschen Vorstellungen, dass sich Migranten massenhaft in Bewegung setzen und Einheimischen die Jobs wegnehmen. Aber wir wissen, dass das nicht der Fall ist. Also bemühen wir uns um mehr Aufklärung über die AfCFTA. Unsere Botschaft: Der Warenaustausch kann sich nur erhöhen, wenn wir auch die Freizügigkeit der Menschen sicherstellen.“
Wie steht es um Afrikas Entwicklungsplan „Agenda 2063“?
Auch der Ständige Vertreter Äthiopiens bei der Afrikanischen Union, Ayele Lire, meldete sich im Vorfeld des Gipfels zu Wort: Der 36. AU-Gipfel müsse auch den Stand des afrikanischen Entwicklungsplans Agenda 2063 bewerten, so Ayele auf einer Pressekonferenz in Addis Abeba. „Es ist zehn Jahre her, dass die Agenda 2063 der Afrikanischen Union ins Leben gerufen wurde. Es ist also an der Zeit, dass wir bewerten, wie wir in den vergangenen zehn Jahren gearbeitet haben und mit der Agenda 2063 vorangeschritten sind“, stellte der Diplomat fest.
Mit der Agenda 2063 haben die AU-Mitgliedsstaaten 2013 eine gemeinsame Vision für die Entwicklung Afrikas in den nächsten 50 Jahren verabschiedet. Das Ziel ist ein „erfolgreiches Afrika, basierend auf inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung. Ein Afrika, dessen Entwicklung von den Menschen ausgeht, aufbauend auf ihrem Potenzial, insbesondere dem der Frauen und der Jugend, heißt es in offiziellen Publikationen der AU.
„Die Ziele der Agenda 2063 sind wichtig und sollten mit Nachdruck verfolgt werden, vor allem die Jugend des Kontinents sollte diese Ziele nicht aus den Augen verlieren“, sagt Aya Chebbi, eine tunesische Diplomatin und eine panafrikanische und feministische Aktivistin. Sie wurde im November 2018 die erste ernannte Gesandte der Afrikanischen Union für Jugend. In dieser Funktion beschrieb Chebbi die Rolle der Jugend wie folgt: „Die jungen Menschen in Afrika erkennen die Vorteile der Agenda 2063 und versammeln sich um diese Vision. Es geht unter anderem darum, geschlechterspezifische Gewalt zu erkennen und abzustellen, es geht um die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Korruption, und es geht auch darum, der Klimakrise zu begegnen.“
Was fehlt: Investitionen in Bildung
Es sei gut, dass während dieses Gipfels der Afrikanischen Union auch über die Umsetzung der Agenda 2063 gesprochen werde, sagt Adriano Nuvunga, Leiter der mosambikanischen Nichtregierungsorganisation CDD („Zentrum für Entwicklung und Demokratie“), im DW-Interview.
Eine Vision für ein vereintes, prosperierendes und friedliches Afrika bis zum Jahr 2063 sei im Prinzip etwas Positives, fügt der Menschenrechtsaktivist hinzu, der auch als Hochschullehrer im heimischen Maputo tätig ist. Vor allem das Ziel der Agenda 2063, „die Bildungsstandards zu verbessern und einen massiven Ausbau der öffentlichen Schulsysteme in ganz Afrika durchzusetzen“, halte er für eine „löbliche Initiative“. Letztendlich bleibe diese Agenda aber nichts anderes als eine Absichtserklärung, die die Realität in den meisten Ländern Afrikas nicht widerspiegele.
„Praktisch alle Länder Afrikas durchlaufen seit Jahren eine Phase der Zerstörung der öffentlichen Schulsysteme. Nirgends wird ausreichend in Bildung investiert. Wenn es so weitergeht, wird es unmöglich, die Ziele der Agenda Afrika 2063 zu erreichen“, so Nuvunga. Was für den Bereich der Bildung gelte, gelte auch für die meisten anderen Entwicklungsziele der Agenda 2063.
Nuvungas Fazit: Die Agenda 2063 sei nicht mehr als ein „gut klingendes Thema“ für eine weitere Konferenz der Afrikanischen Union, die zwar ein neues Gebäude und viele gutdotierte Posten zur Verfügung stelle, aber keine echte Zukunftsvision habe. „Meine Befürchtung ist, dass es auch bei diesem AU-Gipfel keinen Raum geben wird für eine wirklich ehrliche und profunde Auseinandersetzung mit den Problemen des Kontinents.“