Es läuft nicht gut in Deutschland. Das Land verliert an Wirtschaftskraft. Die Industrie ächzt unter hohen Energiepreisen und zu viel Bürokratie, die Auftragsbücher leeren sich. Die Digitalisierung verläuft schleppend, die Infrastruktur ist teils marode und die Bauwirtschaft regelrecht eingebrochen. Die Inflation hat die Preise nach oben getrieben, die Bürger kaufen weniger ein.
Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturerwartung für Deutschland nach unten korrigiert. Die bereits vor ein paar Wochen prognostizierte Rezession soll deutlicher ausfallen als erwartet. Der britische „Economist“ stellte kürzlich die Frage, ob Deutschland wieder „der kranke Mann Europas“ sei.
Der Bundeskanzler fordert zunächst Geduld …
Das kann die Bundesregierung nicht kalt lassen, doch Bundeskanzler Olaf Scholz machte in den letzten Wochen nicht den Eindruck, besorgt zu sein. „Da werden Schwierigkeiten herbeigeredet, die mit der wirklichen Stärke der deutschen Volkswirtschaft nichts zu tun haben“, sagte er noch im August.
Seine Regierung aus SPD, Grünen und FDP habe zahlreiche Gesetzesvorhaben zur Energieversorgung und Fachkräftesicherung auf den Weg gebracht und nun brauche es etwas Geduld, bis sie wirkten.
…. und dann plötzlich Tempo
Umso überraschender wirkte nun der Auftritt des Kanzlers in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestags. Scholz trat nicht nur optisch verändert mit einer schwarzen Augenklappe über dem rechten Auge und zerkratztem Gesicht auf, nachdem er sich beim Joggen verletzt hat. Statt Geduld fordert er nun Tempo. „Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid, und ich bin es auch.“
Der Bundeskanzler fordert eine „nationale Kraftanstrengung“, um Deutschland „wieder auf Vordermann zu bringen“. Dafür müssten nun alle zusammenarbeiten und gemeinsam an einem Strang ziehen: Bund, Länder, Städte und Gemeinden, Unternehmen und Behörden, Verbände, Gewerkschaften und auch die „demokratische Opposition“.
Deutschland soll wieder funktionieren
„Deutschland-Pakt“ nennt Olaf Scholz sein Vorhaben. Gemeinsam müsse man „Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln“, denn das „lähmt unsere Wirtschaft und sorgt für Frust bei den Leuten im Land, die einfach wollen, dass Deutschland ordentlich funktioniert“.
Die Formulierung „Deutschland-Pakt“ ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt, denn unter diesem Begriff vereinbarten 2005 zwei rechtsextreme deutsche Parteien, bei Wahlen nicht mehr gegeneinander anzutreten, sondern im Wahlkampf einen gemeinsamen Kandidaten zu unterstützen.
Nicht länger streiten – ein Signal auch nach innen
„Kooperation statt Streitereien, das ist das Gebot der Stunde“, so Scholz im Bundestag. Das kann man auch als Aufforderung in die eigenen Reihen verstehen. In der Regierung prallten die parteipolitischen Gegensätze von Grünen und FDP in den vergangenen Monaten so heftig aufeinander, dass die Koalition als weitgehend zerstritten und der SPD-Kanzler, der den Streit kaum schlichten konnte, als führungs- und durchsetzungsschwach wahrgenommen wurden.
Immer mehr Bürger sind mit der Bundesregierung unzufrieden. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend sagen nur noch 19 Prozent der Deutschen, dass sie die Arbeit von SPD, Grünen und FDP gut finden. Das ist ein Tiefststand seit dem Amtsantritt der Koalition im Dezember 2021. Wenn jetzt gewählt würde, hätte das Trio zusammen bei weitem keine Mehrheit mehr.
Die Opposition reagiert ablehnend
CDU und CSU, die im Bundestag als Union die größte Oppositionsfraktion bilden, schlussfolgern daraus, dass der Kanzler seine Vorhaben aus eigener Kraft nicht schafft und mit dem Deutschland-Pakt auf der Suche nach neuen Mehrheiten sei. „Wenn ihre Koalition in weiten Teilen ausfällt, dann stehen wir selbstverständlich zur Verfügung“, so der CSU-Politiker und frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt im Bundestag.
Allerdings zielt Scholz mit seiner Forderung nach einem Schulterschluss weniger auf die Opposition im Bundestag als vielmehr auf die Bundesländer und die Kommunen. Denn die braucht der Bund im föderal strukturierten Deutschland an vielen Stellen. Nicht nur der Bundestag entscheidet über Gesetzesvorhaben, sondern vielfach auch der Bundesrat, die Kammer der Bundesländer.
CDU-Ministerpräsident fühlt sich „veräppelt“
Die umgehende Reaktion des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen ist daher durchaus von Bedeutung. Hendrik Wüst (CDU) reagierte empört auf den Vorschlag des Bundeskanzlers. Der „Deutschland-Pakt“ sei nicht mehr als ein „PR-Gag“, also etwas, mit dem allein Aufmerksamkeit erzielt werden soll. Er fühle sich von dem Vorschlag „veräppelt“, so Wüst, also für dumm verkauft.
Die Ziele und Maßnahmen seien nichts Neues, sagte Wüst. Tatsächlich entsprechen die von Scholz im Bundestag aufgezählten Gesetzesvorhaben dem, was das Bundeskabinett Ende August bei einer Klausurtagung in Meseberg auf den Weg gebracht hat. Eine Beschleunigung von geplanten Infrastruktur-Vorhaben, so Wüst, würden die Bundesländer schon lange fordern. „Monatelang kam keine Reaktion aus dem Kanzleramt. Der Bund hat wertvolle Zeit vertrödelt – zu Lasten des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“
Die Wirtschaft hofft, dass sich schnell etwas ändert
Ähnliche Töne kommen aus der Wirtschaft. „Mit dem angekündigten Deutschland-Pakt wacht die Bundesregierung endlich auf“, sagte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in einem Zeitungsinterview. Zu lange habe die Regierung die Digitalisierung verschlafen und an bürokratischen Hürden für Wirtschaft und Gesellschaft festgehalten. Das müsse sich nun schnell ändern.
Von den Ministerpräsidenten der Bundesländer, in denen die SPD in der Regierung sitzt, bekommt Olaf Scholz hingegen breite Unterstützung. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte nach der Ministerpräsidentenkonferenz in Brüssel, man sei sich in der Analyse völlig einig: „Wir sind in Deutschland zu kompliziert, wir sind zu langsam und wir sind deswegen am Ende auch zu teuer. Wir müssen einfacher und schneller werden.“ Woidke erhofft sich nun Rückenwind unter anderem für den Ausbau der Bahnstrecken. „Die Länder werden sich möglichst schnell mit der Bundesregierung zusammensetzen, damit es endlich konkrete Beschlüsse gibt.“