Eigentlich steht die Provinz Suwaida im Süden Syriens unter der Kontrolle des Assad-Regimes. Und doch weht dort an manchen Punkten die Flagge der syrischen Revolution. Unter ihr demonstrieren seit rund zwei Wochen täglich bis zu 2000 Menschen gegen die Regierung des Machthabers Bashar al-Assad.
„Dem Assad-Regime geht es ausgesprochen schlecht. Es ist schwach, vor allem in Suwaida“, sagt einer der Demonstranten, dessen Name die DW aus Sicherheitsgründen nicht nennt. Die Bürger hätten solche Demonstrationen schon seit langem organisieren wollen, seien aber von den Sicherheitskräften daran gehindert worden.
Die 2011 gestartete Demokratie-Bewegung hat Assad mit aller Brutalität unterdrückt. Zehntausende wurden dabei getötet, das Schicksal vieler Menschen ist ungeklärt. „Trotzdem werden die Proteste nicht aufhören, egal wie sehr sich das Assad-Regime darum bemüht“, so der Demonstrant aus Suwaida, wo ein Großteil der drusischen Minderheit des Landes lebt. „Wir sind vorsichtig und kennen die verabscheuungswürdigen, kriminellen Methoden des Regimes.“
Die Demonstranten begnügen sich nicht mit Kundgebungen. Sie blockierten Straßen nach Damaskus, schlossen Regierungsbüros und entfernten die obligatorischen Assad-Porträts von Gebäuden.
Inzwischen haben sich die Proteste auf die gesamte Provinz ausgeweitet. In der vergangenen Woche wurden bis zu 50 Veranstaltungen registriert. Kleinere Demonstrationen fanden aus Solidarität mit Suwaida auch in anderen vom Regime kontrollierten Städten wie etwa Daraa statt. Bilder von den Protesten verbreiten sich in sozialen Netzwerken, wie dieses Video aus Suwaida, in dem Demonstranten rufen: „Das Volk will den Sturz des Regimes.“
„Bis das Regime gestürzt ist“
„Wir sind hier, weil die Regierung immer noch mehr als eine halbe Million Menschen gefangen hält. Wir demonstrieren gegen die von der Regierung verantworteten Morde, gegen die hohen Preise und die Kontrollpunkte, an denen Milizen des Regimes uns beim Übergang Geld abknöpfen“, sagt ein Demonstrant in Daraa. Auch sein Name bleibt aus Sicherheitsgründen anonym.
„Die Proteste werden weitergehen, bis das Regime gestürzt ist. Das ist unvermeidlich“, so der junge Mann. „Wir haben zwar Angst, an den Kontrollpunkten verhaftet zu werden. Aber alles andere fürchten wir nicht.“
„Zivilproteste in Gebieten, die vom Regime kontrolliert werden, sind sehr wichtig“, sagt der Aktivist Radwan al-Atrash aus Idlib im Norden Syriens, einer Region, die nicht von der Regierung kontrolliert wird. „Wir hoffen, dass die Menschen in Suwaida und in den anderen Orten im Süden nicht aufgeben. Und wir hoffen, dass sich die Proteste auf die Küste sowie auf Aleppo und Damaskus ausweiten.“
Eine neue Revolution?
Zwar kam es in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu kleineren Protesten. Doch die von Swaida und Umgebung gelten Beobachtern als die bedeutendsten seit Jahren.
Mehrere Faktoren machten diese Proteste besonders bemerkenswert, erklärte der britisch-syrische Journalist Robin Yassin-Kassab diese Woche in einem Kommentar. So stelle sich mit den Drusen eine der Minderheiten des Landes offenbar geschlossen gegen das Assad-Regime. Dies sei insofern bedeutsam, als sich die Assad-Regierung mit dem Argument rechtfertige, den Minderheiten des Landes drohe Gefahr, wenn sie die Macht abgäbe.
Außerdem, so Yassin-Kassab, sei die Wirtschaft zusammengebrochen. „In der Folge wird es entweder zu einer Revolution oder zu großen Hungersnöten kommen“.
Nach mehr als einem Jahrzehnt Krieg leben Angaben der Vereinten Nationen zufolge heute fast 90 Prozent der syrischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
Wirtschaftliche Not als Auslöser der Proteste
Zu den Protesten kam es infolge massiver Preiserhöhungen. Am 15. August hatte die Regierung die staatlichen Subventionen für die Kraftstoffpreise gestrichen. Daraufhin verdoppelte sich der Benzinpreis. Gleichzeitig gab die Regierung bekannt, dass sie die Gehälter der Beamten verdoppeln werde, eine Maßnahme, die vielen Syrern zugute gekommen wäre. Doch die Kluft zwischen dem durchschnittlichen Einkommen der Syrer und den Lebenshaltungskosten war bereits enorm. Außerdem kam die Gehaltserhöhung zu spät und fiel zudem zu gering aus.
In Folge der Teuerungen verweigerten Taxi- und Busfahrer die Arbeit. Geschäfte blieben geschlossen, die Lebensmittelpreise stiegen fast über Nacht um bis zu 100 Prozent. Kurz darauf begannen die Proteste.
„Die Syrer haben sehr gelitten. Dennoch werden die Erfahrungen der Vergangenheit sie nicht davon abhalten, erneut zu demonstrieren, wenn sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können“, sagt Haid Haid vom Londoner Thinktank Chatham House gegenüber der DW. „Man kann sagen, dass der wirtschaftliche Faktor der Hauptantrieb war, aber es gibt auch politische Gründe, da man die wirtschaftliche Situation der Regierung anlasten kann.“
Tatsächlich mehren sich in Suwaida die Forderungen nach einer Umsetzung der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats. Diese fordert die Machtübergabe des Assad-Regimes an eine neue Regierung.
Reaktion des Assad-Regime noch offen
Wie das Regime – derzeit bemüht es sich um Rückkehr auf die internationale Bühne – reagieren wird, ist noch offen. „Ich nehme an, dass es auf unterschiedliche Situationen mit unterschiedlichen Ansätzen reagieren wird, je nachdem, welche Risiken diese mit sich bringen“, so Haid. „Wahrscheinlich setzt die Regierung darauf, die Proteste in Suwaida einzudämmen. Zudem hofft sie offenbar, die Bevölkerung werde irgendwann die Lust an den Protesten verlieren. Anderswo werden sie wahrscheinlich Gewalt anwenden. Aber in Suweida werden sie das vorerst vermeiden.“
Anderswo gingen die Sicherheitskräfte bereits mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. So etwa im August in den Provinzen Daraa und Aleppo. In einer Küstenstadt nahe der Stadt Latakia zeigte ein Video in den sozialen Medien, wie Soldaten versuchten, einen Generalstreik zu verhindern. Aktivisten der Opposition berichteten von Sicherheitskräften, die auf einer Moschee in Homs stationiert waren, um die dortigen Proteste zu unterbinden.
Darüber hinaus hätten die Drusen ihre eigenen lokalen bewaffneten Gruppierungen, sagt Joseph Daher, Professor am Europäischen Hochschulinstitut und Syrienexperte. „Im Laufe der Jahre wurde Suwaida in begrenztem Maß autonom „, so Daher gegenüber der DW. „Derzeit fällt das Kräfteverhältnis in Suwaida nicht zugunsten der Sicherheitskräfte Assads aus.“
„Das Regime betreibt in Suwaida derzeit eine intensive Diplomatie, um die Demonstranten zum Rückzug zu bewegen“, sagt Mohammed Alaa Ghanem, Leiter des Syrian American Council mit Sitz in Washington. „Aber offenbar arbeitet das Regime an einem Plan B, falls seine diplomatischen Bemühungen scheitern. Für diesen Fall mobilisiert es offenbar bereits die Sicherheitskräfte.“