Der Kanzler will den aktuellen Streit rasch beenden. „Wir beschließen noch in diesem Monat ein „Wachstumschancengesetz“, versicherte Scholz am Mittwoch auf dem NRW-Unternehmertag in Düsseldorf. Das Gesetz werde bei der Kabinettsklausur in Meseberg beschlossen werden. Die wenigen Tage bis dahin werde man nutzen, um das Gesetz „noch ein bisschen schöner zu machen“, sagte Scholz.
Anders als geplant hatte das Kabinett am Mittwoch nicht das „Wachstumschancengesetz“ von Finanzminister Christian Lindner (FDP) verabschiedet – ein Paket mit steuerpolitischen Maßnahmen, die die Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte das Vorhaben blockiert. Sie argumentierte, dass es mehr Geld für Kinder und Familien brauche, um den Wohlstand zu stärken.
Ein Machtwort soll her
Beim Unternehmertag in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf wurde Olaf Scholz mit heftiger Kritik konfrontiert. Arndt Kirchhoff, Präsident des NRW-Unternehmerverbands, wetterte vehement gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung. Er beklagte die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft durch zu viel Bürokratie und schleppende Genehmigungsverfahren. „Deutsche Politik muss alles umsetzen, was die deutsche Wirtschaft stärkt, und alles unterlassen, was sie schwächt“, sagt Kirchhoff. „Herr Bundeskanzler, sprechen Sie hier ein Machtwort.“
Die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, forderte am nächsten Tag in der Rheinischen Post einen „echten Neustart“ der Ampel. „Bei der Kabinettsklausur in zwei Wochen muss Kanzler Scholz endlich Ruhe in seine chaotische Mannschaft bringen.“
Auch „grüne“ Wirtschaftsfunktionäre zeigen sich entsetzt angesichts des Streits in der Regierungskoalition. Die Vorstandsvorsitzende der Grünen Wirtschaftsvereinigung, Heike Discher, sagte zum Handelsblatt: „Wirtschaftspolitik muss von der Sache her entschieden werden, mit Weitblick, sie sollte keine tagespolitische Verhandlungsmasse sein für oder gegen andere politische Maßnahmen““
„Während Deutschland anders als andere Länder in eine tiefe Rezession rutscht, leistet sich die Bundesregierung einen Kampf persönlicher Eitelkeiten einzelner Minister“, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW), Christoph Ahlhaus. Der Chef der Industriegewerkschaft IG-BCE, Michael Vassiliadis, hieb in die selbe Kerbe: „In dieser Lage Projekte gegeneinander auszuspielen, die nichts miteinander zu tun haben, hilft niemandem und bremst das Land weiter aus“, sagte er ebenfalls dem Handelsblatt.
Gegenwind von allen Seiten
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nahm den Kanzler in die Pflicht. „Deutschland ist nicht mehr nur der kranke Mann Europas, sondern der Welt. Die Bürger und Unternehmen erwarten völlig zu Recht vom Bundeskanzler, dass er endlich die Führung übernimmt, die er versprochen hat, und unser Land nach vorne bringt“, sagte Linnemann der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger, hielt der Ampel im Redaktionsnetzwerk Deutschland vor, mit Machtspielchen Vertrauen zu zerstören.
Auch aus der Regierungspartei SPD kommt Kritik. Parteichef Lars Klingbeil zeigt sich „fassungslos“ über den erneuten Streit in der Koalition. Die Aufgabe der Regierung sei, in einer historischen Umbruchphase „Sicherheit, Orientierung und Stabilität“ zu geben, sagte Klingbeil am Donnerstagabend in Frankfurt. „Ich dachte, dass alle das verstanden haben.“ Nun zeige der Streit um das Wachstumschancengesetz, dass das nicht geschehen sei. „Das hat mich sehr fassungslos gemacht, dass es sofort mit Streit weitergeht“, fügte er Klingbeil in Anspielung auf den Heizungsstreit vor der Sommerpause hinzu.
Die Quittung kommt mit den Umfragen
Bundeskanzler Scholz verliert zudem in der Bevölkerung weiterhin an Rückhalt. Im ZDF-Politbarometer vom Freitag äußerten sich erstmals seit seinem Amtsantritt Ende 2021 mehr Befragte mit ihm unzufrieden als zufrieden. 51 Prozent der Befragten äußerten sich kritisch. Zufrieden mit seiner Arbeit waren demnach nur noch 43 Prozent.
Im Politbarometer, das auf einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen gründet, gaben 61 Prozent der Bürger an, dass es mit der Wirtschaft in Deutschland abwärts gehe. Das seien so viele wie noch nie in diesem Jahr gewesen. 31 Prozent erwarten keine großen Veränderungen, sechs Prozent nehmen einen Aufwärtstrend wahr. Von den Befragten glauben 58 Prozent, dass die Bundesregierung ihre Arbeit insgesamt „eher schlecht“ macht.
Trotz des kritischen Urteils wird die Union als größte Oppositionspartei nicht als gute Alternative wahrgenommen. Lediglich 27 Prozent glauben, dass es eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung besser machen würde. 52 Prozent sagen, es würde keinen Unterschied machen, 17 Prozent hielten es für eine Verschlechterung.