Hochwasser: Wie aus Regen eine zerstörerische Flut entsteht

Von | 20. Mai 2023

Als wären es Kartenhäuser und Spielzeugautos, die unter braunen Wassermassen zusammenbrechen oder hinfort getrieben werden. Container, die wie Pappkartons dahin driften, Keller, die innerhalb weniger Minuten zur lebensgefährlichen Falle werden. Immer wieder beweist uns die Natur mit ihren gewaltigen Elementen, wer hier die Oberhand hat. Die Menschen sind es jedenfalls nicht.

Aber wie kann das Wasser eine solche Kraft entfalten? Genau diese Frage beantwortet Dr. Michael Dietze von der Sektion Geomorphologie am Helmholtz-Zentrum Potsdam auf der Webseite des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ.

Dafür ist es zunächst wichtig zu wissen, dass ein Kubikmeter Wasser eine Tonne wiegt. Das ist also schon mal nicht ohne! Und das heißt: „Wasser kann einen enormen Druck aufbauen, wenn es direkt auf ein Hindernis trifft. In Bewegung gebracht, ergibt das enorme Kräfte, die auf Autos oder Container wirken und diese einfach vor sich herschieben können, wenn sie nicht sehr fest verankert sind“, sagt Dietze.

„Dazu kommt dann das Phänomen der Erosion, das vermeintlich stabile Oberflächen zerstören kann: (Erd-)Oberfläche wird durch schnell fließendes Wasser abgetragen.“

Infografik: Entstehung von Hochwasser

Am GFZ Potsdam wird unter anderem untersucht, wie genau Wasser Sediment mobilisiert, wie sich Flutwellen bewegen, und mit welcher Wucht sie sich ihren Weg durch die Landschaft bahnen.

Starkregen gehört zu einer der meist unterschätzten Gefahren, warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Er kann nur schwer vorhersagt werden und tritt bezogen auf einen Ort nur selten auf. Die Meteorologen können zwar die Region vorhersagen, aber nicht genau, wann oder wie viel es an einem bestimmten Ort regnen wird.

So kann es auch in den Regionen zu schweren Schäden kommen, in denen man es nicht zuerst vermuten würde – auch abseits von größeren Flüssen oder engen Tälern.

„Die starken Niederschläge bringen so große Wassermengen auf die – oft bereits durch vorherige Niederschläge gesättigten – Böden, dass sie dort nicht mehr versickern können“, erklärt der Geomorphologe Dietze.

Lehm, Ton, Sand, trocken, feucht: Bodentypen nehmen Wasser anders auf

Dabei kommt es nicht ausschließlich auf die Wassermenge an, auch die spielt eine große Rolle oder vielmehr die Wasserführung des Bodens. Das heißt: Wie gut kann der Boden das Wasser aufnehmen, speichern oder versickern lassen?

Flut in Norditalien

Hier spielen Faktoren wie die Porengröße der Bodenteilchen oder sogenannte Bodenkolloide eine Rolle. Bodenkolloide sind Teilchen mit einem Durchmesser von unter zwei Mikrometern (0,002 mm).

Diese Partikel sind so klein, dass sie mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind. Doch weil sie so winzig sind, hat eine große Anzahl an Bodenkolloiden auch eine gigantische Oberfläche – an der Wassermoleküle binden.

Ton- und Lehmböden enthalten viele solcher Bodenkolloide, an denen Wasser als sogenanntes Haftwasser festgehalten wird und nicht abfließen kann. Diese Böden enthalten wenig Poren und können daher, wenn sie erst einmal richtig durchweichen, mehr Wasser speichern als Sand.

Sand hingegen hat aufgrund seiner großen Korngröße viele große luftgefüllte Poren und enthält nur wenig Kolloide. Das Wasser kann daher kaum als Haftwasser festgehalten werden. Es fließt schnell ab.

Infografik: Wasserführung des Bodens

Außerdem ist wichtig: In welchem Zustand war der Boden vor dem Regen?

Gesunde, humusreiche Böden – das heißt: sie sind nicht versiegelt, verkrustet oder verdichtet – können grundsätzlich mehr Regenwasser aufnehmen, große Mengen davon speichern, sodass es später Pflanzen und Bodentieren zur Verfügung steht. Der Rest versickert gereinigt und trägt zur Grundwasserbildung bei.

Wenn es allerdings nach einer längeren Dürreperiode plötzlich stark regnet, können Böden nicht so viel Wasser auf einmal aufnehmen. Ein ausgetrockneter Boden hat eine sogenannte „Benetzungshemmung“. Die Folge: Das Wasser versickert nicht, sondern fließt an der Oberfläche ab. Dazu tragen auch Pflanzenreste im Boden bei, da sich aus ihnen Fette und wachsartige Substanzen lösen, wenn es trocken ist.

Wasser bahnt sich seinen Weg

Ist der Boden nach langen Regenperioden gesättigt, bleibt dem Wasser ebenfalls nichts anders übrig als oberflächlich abzufließen. Dann bahnt es sich seinen Weg bis in Bäche und Flüsse. „Einmal in diesen Gerinnen angekommen, kann es sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen“, sagt Dietze. An der Öko­lo­gi­schen Rhein­sta­ti­on der Uni­ver­si­tät zu Köln fließt der Rhein zum Beispiel unter Normalbedingungen mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit von 1 bis 2 Me­tern pro Se­kun­de.

„Je höher nun die Geschwindigkeit, je höher das Gefälle – speziell an lokalen Stufen wie Böschungen und Geländekanten – und je tiefer der Fluss, desto mehr Kraft kann das Wasser am Untergrund entfalten: Dort, wo es entlang strömt, zieht es quasi mit der Kraft eines Gewichts von mehreren Kilogramm. Das reicht aus, um Sand, Steine und auch Schutt wegzureißen“, erläutert Dietze weiter.

Mehr als nur Wasser: Eine fatale Mischung

Das allein reicht allerdings noch nicht aus, um Häuser und Straßen mitzureißen. Aber dabei spielt auch nicht allein das Wasser eine Rolle – sondern auch die mitgeführten Partikel. Diese schlagen in Boden, Straßen und Hauswände ein und entfalten dabei eine enorme Erosionsleistung.

Eine Straße ist nachdem heftige Regenfälle, die Überschwemmungen verursacht hatten, aufgebrochen.Die Partikel im Hochwasser sorgen für die extreme Erosionsleistung

„Sobald Teile davon erst einmal angegriffen sind, kann das darunter liegende Material viel leichter davongetragen werden“, erklärt Dietze. Es entstehen Unterhöhlungen, da Straßen und Häuser oft auf unverfestigtem Grund gebaut seien. Weiteres Material kann dann leicht nachbrechen. „Dieses Zusammenspiel von mitgeführtem Material und der Kraft, freigelegtes weiteres Material einfach wegzuführen, verleiht dem schnell fließenden Wasser die Kraft, solch enorme Schäden in kurzer Zeit herbeizuführen.“

Dabei betont Michael Dietze vom Helmholtz-Zentrum Potsdam: Solche Fluten entstünden überall, wo Starkniederschläge auftreten könnten. Besonders gefährlich seien derartige Niederschlagsereignisse im Hochgebirge, wo in der Folge plötzlich versagende Dämme ganze Seen zum Auslaufen bringen oder Bergstürze gewaltige Eismengen schmelzen, und damit Flutwellen in den engen Tälern erzeugen.

Kampf gegen das Hochwasser – Flutsicher im urbanen Raum

Bevor das Wasser kommt

Doch gibt es keine Möglichkeit, vor solchen Extremwetterereignissen zu warnen?

„Aus Wettervorhersagen lassen sich Warnhinweise ableiten“, sagt Dietze. „Zum Beispiel können Wettervorhersagen in hydrologische Modelle gespeist werden, um Vorhersagen zum Auftreten und zur Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen zu machen.“

Problematisch seien dagegen immer noch die Erosionsprozesse. „Sie vorherzusagen ist schwierig, vor allem weil diese Ereignisse sehr schnell ablaufen und ihre Intensität schwer genau einzuschätzen ist“, so der Geomorphologe.

Mithilfe von Satellitenbildern und vor allem Seismometern versuchen die Forschenden seit einigen Jahren, die Flutwellen nahezu in Echtzeit zu verfolgen und deren Intensität zu berechnen. Die Forschung dazu steht noch am Anfang, betont Dietze, habe aber immenses Potential, um die Bevölkerung möglichst rasch vor solchen Fluten zu warnen.

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