Die Polizei durchsuchte am Samstag das Haus von Metropolit Pawlo, dem Vorsteher des Kiewer Höhlenklosters. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Anstiftung zu religiösem Hass sowie Rechtfertigung des russischen Angriffskrieges vor. Der Beschuldigte bestreitet das. Zum wiederholten Mal verurteilte der Geistliche in ukrainischen Medien Russlands Angriff auf „unseren Staat“, also die Ukraine. Was Russland und Putin getan hätten, sei nicht zu rechtfertigen, betonte er.
Seit Wochen versucht die ukrainische Regierung, rund 200 Mönche und 400 Seminaristen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) aus dem Höhlenkloster zu werfen. Kulturminister Olexander Tkatschenko hatte den Mietvertrag mit der UOK zum 29. März gekündigt. Dagegen klagt nun die UOK und weigert sich, das Höhlenkloster zu verlassen.
Die ukrainische Regierung wirft den Geistlichen vor, insgeheim für Russland zu arbeiten, was Mönche und Seminaristen dementieren. „Die UOK hat sich vom ersten Tag an sehr klar und offiziell gegen den Krieg ausgesprochen, gegen Russland und für die Verteidigung der Ukraine“, so Thomas Bremer gegenüber der DW. Der katholische Theologe und Osteuropa-Experte ist emeritierter Professor der Universität Münster und einer der besten Kenner der Orthodoxie. Er bezweifelt, dass die UOK von Moskau geleitet wird. In der ukrainischen Armee kämpften viele Soldaten, die der UOK angehören.
Fußfesseln für den Abt
Bisher, so Bremer, herrsche in der Ukraine Religionsfreiheit. Noch: „Was wir jetzt beobachten, die Maßnahmen gegen die UOK, das sind allerdings Aktionen, die die Religionsfreiheit bedrohen.“ Ein Video, das zeigt, wie ein ukrainischer Polizist dem Metropoliten Pawlo Fußfesseln anlegt, wird derzeit in den sozialen Medien vielfach geteilt. Aus Solidarität mit dem Geistlichen versammelten sich hunderte Gläubige vor dem Kloster. Vertreter der ukrainischen Regierung versichern, dass es keine gewaltsame Räumung der Klosteranlage geben werde.
Derweil bekommt die UOK ungewollte Unterstützung von der falschen Seite – und das macht die Lage kompliziert: Es gibt Protest offizieller russischer Stellen. Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) kritisieren die Verfolgung der UOK ebenso wie der frühere Präsident Russlands, Dmitri Medwedew. Der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kirill, gibt sich seit jeher staatsnah. Seine Geistlichen segnen Waffen, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden.
Was sie Situation noch komplizierter macht, ist eine rivalisierende orthodoxe Kirche in der Ukraine, die von der Regierung unterstützt wird. Die ukrainische Regierung hatte sich lange an die Trennung von Staat und Kirche gehalten. Das änderte sich 2018, da förderte sie die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Die entstand mit dem Segen des griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus, dem sogenannten Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel in Istanbul.
Wenn die Geistlichen der geschassten UOK aus dem Höhlenkloster ausgezogen sind – so will es die Regierung in Kiew -, dann sollen die Ordensleute der von ihr geförderten OKU dort einziehen und die Gottesdienste fortsetzen. Dabei ist es unklar, ob die OKU überhaupt genügend Mönche hat, um das weiträumige Klosterareal mit über 140 Gebäuden bewirtschaften zu können.
Das Schisma in der Orthodoxie
Hinzu kommt, dass die OKU von den meisten anderen orthodoxen Kirchen nicht als rechtmäßige Kirche anerkannt wird. Denn, erklärt Thomas Bremer, das Oberhaupt der OKU, Metropolit Epiphanius und die meisten seiner Bischöfe, seien „von jemandem geweiht worden, der als selbsternannter Patriarch aus der Kirche ausgeschlossen worden ist“. Es gebe also Zweifel, ob – kirchlich gesehen – die Bischöfe der OKU überhaupt Bischöfe seien.
Die Folge: Von den weltweit 15 orthodoxen Kirchen haben nur vier die OKU anerkannt – das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, die Griechisch-Orthodoxe Kirche, das Patriarchat von Alexandria in Ägypten und die Orthodoxe Kirche von Zypern. Alle vier Kirchen sind vergleichsweise klein. Zu ihnen hat die Russisch-Orthodoxe Kirche in Moskau den Kontakt abgebrochen.
Das bedeutet: Es gibt wegen des Streites in der Ukraine ein Schisma innerhalb der Orthodoxie. Inzwischen hat die Albanisch-Orthodoxe Kirche vorgeschlagen, dass die Vertreter aller orthodoxen Kirchen zu einem Konzil zusammenkommen, um eine Lösung des ukrainischen Kirchenstreites zu finden. Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus lehnt dies ab. Die OKU unterstehe ihm. Andere orthodoxe Kirche sollten dies anerkennen. Ein Kompromiss sei nicht in Sicht, meint Thomas Bremer: „Die Orthodoxie ist derzeit in einer Sackgasse. Die Situation ist sehr verfahren.“
Die Russisch-Orthodoxen in Afrika
Der ukrainische Kirchenstreit hat zudem Folgen, die weit über die Ukraine hinausgehen. Zum Beispiel in Afrika, wo es in mehreren Staaten orthodoxe Kirchen gibt. Bislang respektieren alle orthodoxen Kirchen, dass für diesen Kontinent das Patriarchat von Alexandria in Ägypten zuständig ist. Seitdem dieses aber die OKU unterstützt, brach die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) mit dieser Tradition. Sie baut jetzt auf dem Kontinent eigene Strukturen auf, gründete zwei Bistümer, weiht Priester. Geistliche, die bislang dem Patriarchat von Alexandria unterstellt waren, treten über zur ROK.
Es herrscht ein Kampf um die afrikanische Orthodoxie, meint auch Thomas Bremer. Die ROK tue so, als ob die Trennung auf Dauer angelegt sei. In Afrika gibt es auch die sogenannten alt-orientalischen Kirchen, also die Kopten und die Kirchen in Äthiopien und in Eritrea. Auch zu ihnen baut die Russisch-Orthodoxe Kirche ihre Beziehungen aus. Vertreter aus Eritrea sind vor kurzem in Moskau empfangen worden.