Was sich mit dem neuen Gesetz bei der Fachkräfte-Einwanderung ändern wird

Von | 30. März 2023

Deutschland fehlen die Fachkräfte. Pflegepersonal, IT-Experten, Handwerker, Logistiker – alles Mangelware. Laut Bundesarbeitsagentur müssten jährlich 400.000 Fachkräfte zuwandern und bleiben, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten. 2021 waren es aber nur 40.000. Wenn die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre, demnächst in Rente gehen, verschärft sich das Problem.

Um die Wende zu schaffen, hat sich die Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie will das „modernste Einwanderungsrecht in Europa“ verabschieden, wie es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schon im November 2022 formulierte. Denn: „Wir konkurrieren mit vielen Ländern um kluge Köpfe und helfende Hände. Dass wir die richtigen Kräfte bekommen, sichert den Wohlstand in Deutschland.“

Einen ersten Schritt hat die Regierung nun unternommen und im Bundeskabinett den Entwurf für ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz beschlossen. Es handelt sich um eine Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes der Vorgängerregierung aus CDU/CSU und SPD, das seit drei Jahren gilt.

Ein Mann und eine Frau laufen; der Mann hält eine Akte, die Frau ein Blatt Paper, beide lächeln und sehen zufrieden ausBundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach dem Kabinettsbeschluss

Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich bei der Vorstellung der Gesetzentwurfs in der Bundespressekonferenz zufrieden: „Heute ist ein sehr guter Tag für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für ein modernes und vielfältiges Land.“

Sie wies allerdings auch mehrfach darauf hin, wie wichtig eine weltoffene Haltung und echte Willkommenskultur in Deutschland seien, damit sich sowohl die Fachkräfte als auch mitziehende Familien hier wohlfühlten.

Was ist nun beschlossen?

Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums will neue Möglichkeiten für Fach- und Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten öffnen, die in Deutschland arbeiten wollen. Es soll in Zukunft prinzipiell drei Wege geben: über die Qualifikation und Anerkennung von Abschlüssen, wie es bisher auch schon möglich war, mit Berufserfahrung und für Menschen mit Potenzial, aber ohne bestehenden Arbeitsvertrag.

Menschen dürfen mit weniger Gehalt einwandern

Künftig sollen mehr Menschen eine sogenannte Blaue Karte EU bekommen, denn die Gehaltsgrenze wird gesenkt. Die EU-weite Blaue Karte für hochqualifizierte Fachkräfte wurde in Deutschland vor zehn Jahren eingeführt. Ohne Vorrangprüfung, ob Deutsche oder EU-Bürger verfügbar wären, und ohne Sprachkenntnisse können Akademiker damit für ein Beschäftigungsverhältnis einreisen. Sie müssen bestimmte Mindesteinkommen erzielen, um Lohndumping auszuschließen. Diese Gehaltsgrenze wird gesenkt.

Bisher musste ein jährliches Mindestgehalt von 58.400 Euro und in Mangelberufen von 45.552 Euro nachgewiesen werden. IT-Spezialistinnen und Spezialisten können ohne Hochschulabschluss eine Blaue Karte EU erhalten, wenn sie über Berufserfahrung auf akademischem Niveau verfügen.

Fachkräfte dringend gesucht

Westbalkanregel: Künftig 50.000 Arbeitskräfte

Außerdem reagiert der Gesetzesentwurf auf eine sich wandelnde Arbeitswelt: Fachkräfte sollen künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben dürfen, also auch die Branchen wechseln dürfen. Eine gelernte Mechanikerin kann also beispielsweise in Zukunft auch in der Logistik arbeiten.

Eine weitere Regelung betrifft Menschen aus Ländern auf dem Balkan. Die bis Ende 2023 befristete sogenannte Westbalkan-Regelung zur Anwerbung von Arbeitskräften aus sechs Westbalkan-Staaten wird entfristet. Das jährliche Kontingent wird auf 50.000 Arbeitskräfte erhöht und damit verdoppelt.

Weniger Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen

Ein großes Hindernis bei der Einwanderung von Arbeitskräften ist, dass ihre Abschlüsse in Deutschland anerkannt sein müssen. Das dauert oft sehr lange und ist sehr bürokratisch. Künftig müssen Menschen ihre Abschlüsse in Deutschland nicht mehr anerkennen lassen, wenn sie über ausreichend, das heißt mindestens zwei Jahre, Berufserfahrung verfügen und einen Abschluss, der im jeweiligen Herkunftsland staatlich anerkannt ist. „Diese Veränderung wird weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren bedeuten“, sagt Faeser in Berlin.

Diese Regelung richtet sich allerdings nur an Fachkräfte ab einer gewissen Gehaltsschwelle. Für diejenigen, die diese Gehaltsschwelle nicht erreichen und deshalb ihre Abschlüsse weiterhin in Deutschland anerkennen lassen müssen, sieht das Fachkräftegesetz ebenfalls eine Neuregelung vor: eine Anerkennungspartnerschaft mit dem Arbeitgeber. Die Fachkräfte können schon nach Deutschland kommen und anfangen zu arbeiten, während der Abschluss noch anerkannt wird.

Mit der Chancenkarte nach Deutschland

Außerdem soll mit dem Gesetzesentwurf eine sogenannte Chancenkarte eingeführt werden, die auf einem Punktesystem basiert. Damit können Menschen ein Jahr lang zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Voraussetzung ist ein ausländischer Berufs- oder Hochschulabschluss.

Zu den Kriterien für eine solche Chancenkarte können Sprachkenntnisse in Deutsch und/oder Englisch, Alter, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und das Potenzial der mitziehenden Lebens- oder Ehepartnerinnen und -partner gehören. Außerdem dürfen Arbeitskräfte mit einer solchen Chancenkarte neben der Jobsuche bis zu 20 Stunden in der Woche arbeiten, auch eine Beschäftigung auf Probe ist erlaubt.

Zwei Männer mit Handschuhen stehen auf einer Baustelle und arbeiten nach vorne gebeugt Auch in der Baubranche fehlen Fachkräfte

„Wir machen Deutschland attraktiver für die klugen Köpfe der Welt. Wir werden weltweit aktiv für das Einwanderungsland Deutschland werben“, resümiert Faeser bei der Bundespressekonferenz.

Kritik und Wünsche

Kritisch äußert sich die Opposition. „Einwanderung in prekäre Beschäftigung und ausbeuterische Verhältnisse muss entschieden entgegengetreten werden, statt sie auszuweiten“, erklärte die Arbeitsmarktexpertin Susanne Ferschl von der Linken.

Der Fraktionsvize der konservativen Union aus CDU und CSU, Hermann Gröhe, kritisiert, der Gesetzentwurf der Regierung trage „nichts wirklich Wirksames“ dazu bei, dass mehr gut ausbildete Menschen einwandern. Wichtig seien nicht neue Regelungen, sondern eine bessere Praxis. „Wenn tausende zuwanderungswillige Fachkräfte monatelang auf ein Visum oder ihre Berufsanerkennung warten, braucht es endlich genügend Personal zum Beispiel in den Auslandsvertretungen – und keine neuen Punkteregelungen.“

„Wenn ein Informatiker aus Pakistan oder Indien Monate warten muss, bis er einen Termin im Konsulat wegen des Visums bekommt, wird er im Zweifel ein anderes Zielland wählen“, sagt auch Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund der „Rheinischen Post“. Er fordert schnellere, digitalisierte Visa-Verfahren, denn alle Industriestaaten konkurrierten um Fachkräfte.

„Das beste Gesetz nützt nichts ohne einen guten Vollzug“, mahnt auch der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) im Interview der „Funke Mediengruppe“. Die Verfahren zur Fachkräfte-Einwanderung müssten radikal vereinfacht werden durch Entbürokratisierung und Beschleunigung in der Verwaltung.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) vermisst konsequente Digitalisierung. Beim Schriftverkehr mit Ausländerbehörden bekäme die BA immer noch in der Hälfte aller Fälle Faxe und Briefe, sagte Vanessa Ahuja, Vorständin für Internationales. Die BA wünsche sich „100 Prozent digitale Wege“ – genau das, was bisher auch viele Fachkräfte aus anderen Staaten in Deutschland vermissen.

Der Gesetzesentwurf muss nun vom Bundestag beraten werden.

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