Dabei war der Außenseiter erneut drauf und dran, seinen Überraschungslauf bei der EM 2024 fortzuführen. Samet Akaydin brachte die Türken in Führung (35.) und sorgte für ein emotionales Beben auf den Tribünen des Berliner Olympiastadions. Zwei niederländische Tore innerhalb von sechs Minuten sorgten dann aber doch für das Ausscheiden des Österreich-Achtelfinal-Bezwingers. Stefan de Vrij (70.) gelang der Ausgleich, Mert Müldür unterlief ein Eigentor zum Endstand (76.). In der Runde der letzten Vier treffen die Niederlande am Mittwoch (10.07.2024) auf England.
„Das war eine echte Schlacht. Die Türkei hat mit so viel Herz gespielt, aber wir haben bis zum Ende gekämpft„, sagte de Vrij im „Man-of-the-match-Interview“ der UEFA. „Wir mussten etwas unternehmen und Druck nach vorne entwickeln. Manchmal haben wir die Räume gefunden und sind am Drücker geblieben. Es war insgesamt ein fantastisches Spiel.„
Demiral gesperrt, Niederlande wollen das ausnutzen
Bei den Türken fehlte mit Merih Demiral der Doppeltorschütze vom Achtelfinal-Sieg gegen Österreich (2:1). Die UEFA-Disziplinarkammer hatte den Verteidiger gesperrt, nachdem er den „Wolfsgruß“ gezeigt hatte, das Symbol der türkischen rechtsextremen Organisation „Graue Wölfe“. Im Vorfeld des Viertelfinals zeigten zahlreiche türkische Fans zunächst beim Fanmarsch und später beim Abspielen der türkischen Hymne im Stadion ebenfalls den „Wolfsgruß“.
Dass mit Demiral der gegnerische Abwehrchef fehlte, wollten die Niederländer zu Beginn direkt ausnutzen. Die Mannschaft von Trainer Ronald Koeman ging sofort voll in die Offensive und hatte schon nach wenigen Momenten die erste Gelegenheit. Memphis Depay zog von der linken Seite in die Mitte, kam dann unbedrängt aus 15 Metern zum Schuss, verlor allerdings die Balance und schoss deutlich drüber (1.).
Es gab mehrere dieser Situationen, in denen die Niederlande den Gegner herspielten, aber es fehlte der letzte Punch vor dem Tor. Und so gelang es der Türkei, den Weg ins Spiel zu finden und mehr Kontrolle hineinzubringen. Spätestens ab dem ersten Schuss von Salih Özcan, der aus 22 Meter ein wenig zu hoch geriet, war auch das Team von Vincenzo Montella voll in der Partie angekommen (10.).
Güler zeigt seine große Klasse
Es entwickelte sich ein sehr intensiver Schlagabtausch, der auch geprägt war von der außergewöhnlichen Stimmung im Berliner Olympiastadion. Mit den Fans im Rücken erspielte sich die Türkei sogar Vorteile – und hatte wieder den überragenden Flankengeber des Turniers auf ihrer Seite.
Arda Güler leitete mit einer butterweichen Hereingabe auf Akaydin das 1:0 ein (35.) – und das sogar mit seinem schwächeren rechten Fuß. Im Achtelfinale hatte der 19-Jährige bereits mit seinen Eckstößen großen Anteil am 2:1-Sieg gegen Österreich.
Die Türkei in Ekstase und auf dem Weg, wie 2008 das EM-Halbfinale zu erreichen. Güler und Co. sollen über die nächsten Jahre eine goldene Generation aufbauen – doch das Montella-Team war damit drauf und dran, jetzt schon in die Fußstapfen der heimischen Helden von vor 16 Jahren zu treten. Und das nicht aus Glück, sondern weil sich die Türken die Führung gegen die Niederländer, die immer mehr die Kontrolle verloren, verdienten.
Türkei baut Bollwerk auf – und hat Chancen
Mit dem Start der zweiten Hälfte wurde die „Elftal“ wieder offensiver und gefährlicher. Vor allem die Einwechslung von Wout Weghorst machte sich bemerkbar, hohe Bälle wurden nun zu einer Gefahr für die türkische Defensive. Den durchschlagenden Erfolg gab es vorerst aber nicht. Den gab es dafür aber fast auf der anderen Seite. Güler setzte bei einem Freistoß aus 25 Metern seinen Zauberfuß ein und traf den Pfosten (56.). Niederlande-Torhüter Bart Verbruggen war noch entscheidend dran.
Insgesamt verteidigte die Türkei ähnlich leidenschaftlich und vor allem erfolgreich wie zuvor gegen Österreich. Mit jeder abgelaufenen Minute nährte sich die Hoffnung auf das EM-Halbfinale, die Fans wurden gefühlt immer lauter, feierten jede gelungene Aktion ihres Teams. Und beinahe auch das 2:0. Verbruggen parierte erst gegen Kenan Yildiz, dann rettete Weghorst im Liegen vor dem einschussbereiten Kaan Ayhan (65.).
Niederlande in der Schlussphase zu stark für Türkei
Weghorst hatte dann die große Gelegenheit auf der anderen Seite. Nach einer Flanke kam der Ex-Hoffenheimer zum Abschluss, traf den Ball aber nicht richtig und gab Mert Günok die Gelegenheit, im kurzen Eck zu parieren (70.). Das große Aber aus Sicht der Türken kam jedoch im Anschluss: de Vrij kam nach kurzer Ecke und Hereingabe von Depay ganz frei zum Kopfball und erzielte den Ausgleich (70.).
Dieser Moment beflügelte die Niederlande derart, dass sie im Anschluss ihren Gegner förmlich überrannten. Die Türken verteidigten weiter aufopferungsvoll, waren aber zunehmend überfordert mit den wilden Angriffsversuchen von „Oranje“. Und so zwangen eine starke Flanke von Denzel Dumfries und der Einsatz von Cody Gakpo im Zweikampf Müldür zu einem Eigentor. Die niederländische Wende war perfekt (76.).
Verbruggen auf dem Posten
Den Sieg sicherten sich die NIederländer in der Schlussphase mit großem Kampf. Erst blockte Micky van de Ven überragend einen Schuss von Zeki Celik aufs leere Tor, danach schmiss sich Jerdy Schouten in den Versuch von Kerem Aktürkoglu (85.).
Die „Elftal“ brachte das Ergebnis im Stile der Türken über die Zeit, auch weil Verbruggen wie Günok im Achtelfinale in der Nachspielzeit herausragend parierte (90.+1). So waren die Niederlande zwar der Sieger des Spiels. Aber auch die Türkei trotz des Ausscheidens und jeder Fan, der zugesehen hat, durften sich als Gewinner fühlen.
Für die Niederlande geht es nun am Mittwoch in Dortmund gegen England um den Enzug ins Finale der Euro 2024.