Vor knapp zwei Wochen hatte der französische Präsident seine europäischen Partner mit dem Satz aufgeschreckt, dass man nichts ausschließen dürfe, wenn es um die Unterstützung der Ukraine gehe – auch nicht die Entsendung von Bodentruppen.
Zwar hat der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski gestern die Initiative Emmanuel Macrons begrüßt und sich offen für den Einsatz von NATO-Bodentruppen in der Ukraine gezeigt, doch viele europäische Staats- und Regierungschefs lehnen Macrons Vorstoß nach wie vor ab. Allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz.
Ablehnung in Berlin
In Berlin war man entsetzt darüber, dass Macron die Debatte auf der Pariser Konferenz am 26. Februar um die Frage, ob man auch Bodentruppen in der Ukraine in Erwägung ziehen sollte, öffentlich gemacht hatte. Scholz versicherte umgehend: „Auch für die Zukunft gilt, dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird.“
Es habe nicht nur „keinen Konsens für Bodentruppen“ gegeben, wie Macron vieldeutig gesagt hatte, sondern im Gegenteil: Frankreich sei mit seiner Position isoliert gewesen, zitierte die Zeitung „Le Monde“ heute deutsche Diplomaten.
Doch die Reaktion des deutschen Partners ficht Macron nicht an. Im Gegenteil: Seit der Pariser Konferenz hat er nachgelegt. Bei einem Besuch in Prag wenige Tage später sagte er, nun sei nicht die Zeit, feige zu sein.
Auch hier reagierte die Bundesregierung harsch. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete Macrons Äußerungen als wenig hilfreich. Aus seiner Sicht brauche es keine Diskussionen über mehr oder weniger Mut. Es gehe darum, „sich auf die relevantesten Herausforderungen zu konzentrieren“.
Putin im Ungewissen lassen
Was Macron antreibt, ist klar: Er beansprucht die Führung in Europa. Und dazu setzt er gerne das ein, was er selbst bisweilen „Elektroschock“ nennt. Er sieht seine Rolle darin, die Partner aufzurütteln. Mit der Diskussion um Bodentruppen ist ihm das gelungen.
Macron warnte mit großer Geste vor dem „Geist der Niederlage“, der um sich greife. Es brauche einen „strategischen Aufbruch“. Wie dieser aussehen muss, glaubt Macron zu wissen. Das Stichwort heißt „strategische Ambiguität“: Putin im Ungewissen halten, sich nicht in die Karten schauen lassen und vor allem keine roten Linien formulieren.
Bemühung um nationalen Konsens
Mit dieser Strategie stößt der französische Präsident aber nicht nur bei den europäischen Partnern auf Abwehr, sondern auch im eigenen Land. Dort wirbt er derzeit um Unterstützung für seine Ukraine-Politik, will einen nationalen Konsens herstellen. Mitte kommender Woche soll das Parlament ein nicht bindendes Votum über das Sicherheitsabkommen mit der Ukraine abgeben.
Und vor wenigen Tagen hat Macron im sogenannten Saint-Denis-Format alle Chefs und Chefinnen der in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zum Gespräch geladen, um für seine Ukraine-Strategie zu werben. In dieser Runde wiederholte und verteidigte er seine Haltung: Angesichts eines Feindes, der keine Grenzen kenne, dürfe man selbst keine Grenzen für sein eigenes Handeln aussprechen.
Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Opposition in Frankreich entsetzt
Jenseits der drei Parteichefs des Regierungsbündnisses waren die Reaktionen verheerend und das Entsetzen groß. Fabien Roussel, der Chef der kommunistischen Partei, berichtete aus dem Treffen, Macron habe erklärt, dass ein Vorrücken der Front Richtung Odessa oder Kiew „eine Intervention einleiten könne“, um Russland zu stoppen. Dies habe der Präsident mit einer Karte untermauert. Roussel kritisierte, Macron führe Frankreich in eine „kriegerische Eskalation“.
Jordan Bardella, Chef des extrem rechten Rassemblement National (RN), der die meisten Oppositionssitze innehat, erklärte vor der Presse: „Es braucht Grenzen, wenn eine der Haupt-Kriegsparteien eine Nuklearmacht ist und Frankreich gegenübersteht.“ Doch Macron scheine keine Limits zu kennen und zum Äußersten bereit zu sein.
Die grüne Parteichefin Marine Tondelier wiederum zeigte sich „besorgt“ darüber, dass der Staatschef „angesichts des Wahnsinns von Wladimir Putin“, der immerhin die Nuklearwaffe besitze, keine Grenzen zu kennen scheine.
Aus einer anderen Warte betrachtete Eric Ciotti Macrons Vorstoß. Der Chef der konservativen Republikaner verdächtigte Macron, die Ukraine-Frage zu instrumentalisieren: „Man benutzt ein derart dramatisches Thema nicht für innenpolitische Zwecke kurz vor den Europawahlen“, sagte Ciotti im Anschluss an das Saint-Denis-Treffen.
Innenpolitisches Kalkül?
In der Tat könnten wahltaktische Überlegungen eine Rolle spielen. Macrons Partei liegt in Umfragen zu den Europawahlen zehn Prozentpunkte hinter dem rechtsextremen RN. Als europäischer Leader in der Ukraine-Frage wahrgenommen zu werden, kann da nicht schaden.
Außerdem versuchen Macron und sein Premierminister Gabriel Attal schon seit Wochen, Druck auf den RN auszuüben: Die „Truppen Putins“, wie Attal die über Jahre russlandfreundliche Partei Marine Le Pens jüngst nannte, soll Farbe bekennen.
Doch ist es wirklich denkbar, dass Macron aus wahltaktischen Gründen bereit ist, die Partnerschaft mit dem engsten Verbündeten Deutschland aufs Spiel zu setzen oder liegt der Grund nicht tiefer?
Unterschiedliche Perspektiven
Die Beziehungen zwischen Paris und Berlin waren lange nicht mehr so belastet. Die strategischen Ansätze angesichts des Ukraine-Krieges unterscheiden sich fundamental: Während Scholz im weit östlich gelegenen Berlin bremst, beschwichtigt und abwägt, um jede Kriegstreiberei zu vermeiden, setzt Macron im deutlich weiter westlich gelegenen Paris auf Muskelspiel und Abschreckung, um es gar nicht erst zum Äußersten kommen zu lassen.
Während der Angriff Russlands auf die Ukraine in Berlin die Überzeugung gestärkt hat, dass man den Schutz der US-Amerikaner braucht, hat Paris ganz andere Schlüsse gezogen: Der Krieg zeige einmal mehr, dass Macrons Appell zu europäischer Souveränität der einzig richtige Weg sei, Europa zu schützen. Europa müsse gemeinsam in seine Verteidigung investieren und dürfe nicht mehr allein auf die transatlantische Hilfe vertrauen.
Das Image stärken
Und während sich Deutschland gerade im Sinne der „Zeitenwende“ von der langjährigen wirtschaftlichen Vormacht in Europa zu einem wichtigen Player in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu wandeln versucht, kämpft das seit Jahrzehnten wirtschaftlich schwächere Frankreich darum, sein Image als stärkste europäische Militärmacht zu halten.
Zuletzt kam auch und gerade aus Deutschland Kritik, Paris liefere zu wenig Waffen in die Ukraine. Der Krieg gegen die Ukraine bringt also auch in dieser Hinsicht Sand ins Getriebe des deutsch-französischen Motors.
Zweideutige Signale
Jenseits des Muskelspiels zwischen Paris und Putin und jenseits der strategischen Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich bleibt am Ende die Frage, was eigentlich mit „Bodentruppen“ gemeint war. Denn die Signale sind durchaus zweideutig.
Während der Präsident laut und kompromisslos das Signal zum Aufbruch bläst, bemüht man sich im Hintergrund um die leisen Zwischentöne. Aus Elysée-Kreisen heißt es schon seit Tagen, es gehe lediglich um Soldaten, die Minen räumen, ausbilden oder bei der Cyberabwehr helfen. Und am Freitag erklärte Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im Sender BFM TV, die Option, „kämpfende Bodentruppen“ in die Ukraine zu entsenden, liege nicht auf dem Tisch.
Alles nur Wortklauberei? Es steht zu befürchten, dass die „strategische Ambiguität“ Macrons nicht das erhoffte Signal von Einigkeit und Stärke an Putin gesendet hat, sondern nur offengelegt, wie uneins sich die beiden wichtigsten Partner in der EU sind.