Die Bundesregierung hat die hohe Zahl judenfeindlicher Straftaten seit dem Hamas-Angriff auf Israel kritisiert. Seit dem 7. Oktober habe das Bundeskriminalamt (BKA) 2249 antisemitische Straftaten erfasst, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Regierung, Felix Klein, in der Bundespressekonferenz in Berlin. „Ein erheblicher Teil“ sei nicht direkt nach dem 7. Oktober begangen worden, „sondern Wochen und Monate später“.
Klein: „Angegriffen, bedroht, beleidigt, in Angst versetzt“
Mehr als 2000 Mal seit dem 7. Oktober seien innerhalb Deutschlands Jüdinnen und Juden „angegriffen, bedroht, beleidigt und in Angst versetzt“ worden, sagte Klein. Zudem sei „öffentlich antisemitische Hetze verbreitet“ worden. Er sei „erschüttert“, dass „das beschämend hohe Niveau“ judenfeindlicher Taten dennoch weitgehend aus der öffentlichen Debatte und der Medienberichterstattung verschwunden sei.
Kämpfer der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas hatten am 7. Oktober bei einem beispiellosen und brutalen Angriff auf Israel etwa 1200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Als Reaktion begann Israel mit massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen. Nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit dem Beginn der israelischen Offensive mindestens 25.700 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet. Die Hamas wird von Israel, den USA, der EU, von Deutschland und anderen Staaten als Terrororganisation gelistet.
Klein verwies auf die Auswirkungen von Antisemitismus auf die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden. Sie vermieden es, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen, änderten bei Online-Bestellungen jüdisch klingende Namen und überlegten es sich zweimal, ob sie in eine Synagoge gingen. Staat und Gesellschaft dürften jedoch „keine Räume zulassen, in denen Judenhass unwidersprochen bleibt“, verlangte Klein. Dies gelte etwa auch für Antisemitismus „unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit“. Er plädiere dafür, Paragraf 130 im Strafgesetzbuch gegen Volksverhetzung zu reformieren, „damit wir Antisemitismus auch mit strafrechtlichen Mitteln noch besser bekämpfen können.“
Schuster: „Jüdisches Leben weniger sichtbar“
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte bei der Pressekonferenz, die Zahlen des BKA seien eine „große und mentale Belastung“ für Jüdinnen und Juden – zumal zahlreiche Delikte im öffentlichen Raum etwa auf der Straße passiert seien. Schuster wies darauf hin, dass die Besuche von Gottesdiensten in Synagogen und von jüdischen Veranstaltungen tatsächlich weniger geworden seien. Manche Termine seien ganz abgesagt worden. Die Folge: „Jüdisches Leben ist weniger sichtbar geworden.“
Besorgt äußerte sich auch der Deutsche Lehrerverband. Präsident Stefan Düll sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, dass an deutschen Schulen nach Beobachtungen von Lehrkräften der Anteil der Jugendlichen zunehme, die gesellschaftliche Grundwerte ablehnen. „Hier ein antisemitischer Spruch, dort offen gezeigte Abneigung gegenüber Homosexuellen: Es ist so, dass ein Teil der Schüler an Deutschlands Schulen nicht auf dem Wertefundament des Grundgesetzes steht.“ Besonders offenkundig seien die Probleme auch an Schulen seit dem 7. Oktober geworden.
Düll: „Zu lange politisch korrekte Scheuklappen“
Nach Einschätzung Dülls handelt es sich dabei häufig auch um Schüler mit muslimischem Hintergrund, darunter selbst solche, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflüchtet sind. Besonders herausfordernd sei die Lage für Lehrkräfte dort, wo teils mehr als 50 Prozent der Schüler und Schülerinnen einer Klasse eine Zuwanderungsgeschichte haben. „Das anzusprechen hat nichts mit Fremden- oder Islamfeindlichkeit zu tun. Da war man zu lange mit politisch korrekten Scheuklappen unterwegs“, so Düll.
Allerdings zeigten auch manche jungen Leute ohne muslimischen Hintergrund ihre Verachtung für die Wertekultur des Grundgesetzes. „Neben zugewanderten gibt es eben auch einheimische Antisemiten oder Rassisten.“ Solche Schüler bewegten sich teils in einer Parallel-Wirklichkeit, so der Verbandspräsident: „In digitalen Blasen, in Sozialen Netzwerken bekommen sie gespiegelt, dass ein derartiges Verhalten – ob nun homophob, rassistisch, antisemitisch oder sexistisch – vollkommen normal ist.“ Besonders kritisch sei es dann, wenn es sich um extremistische oder islamistische Influencer handle, die den Kindern und Jugendlichen ihr Weltbild vermitteln.
Düll rief die Kultusminister der Länder dazu auf, Schulen den Raum zu geben für eine zeitgemäße Medienbildung: „Wir wollen aus Schülern emanzipierte Staatsbürger machen. Das umfasst auch, dass sie im Umgang mit Sozialen Netzwerken sensibilisiert werden“, forderte der Verbandspräsident. Der Lehrerverband vertritt als Dachverband von vier Mitgliedsverbänden – darunter der Deutsche Philologenverband und der Verband Deutscher Realschullehrer – 165.000 Lehrer in der Bundesrepublik.