Angesichts der jüngst veröffentlichten Recherchen des Mediums „Correctiv“ über Geheimpläne von AfD-Politikern und Rechtsextremisten zur Vertreibung von Migranten aus Deutschland, warnen immer mehr politische Beobachter, Holocaustüberlebende und Extremismusforscher vor den Konsequenzen des Aufstiegs der rechten Partei für die Bundesrepublik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft zur Wachsamkeit auf. Und auch die Diskussion über ein Parteienverbot hat angesichts der Radikalisierung der AfD an Fahrt aufgenommen.
Gleichzeitig greift die AfD nach Jahren in der politischen Opposition nach der politischen Macht. 2024 könnte die Alternative für Deutschland wichtige politische Erfolge erzielen, denn es stehen neben den Wahlen zum EU-Parlament zahlreiche Landtags- und Kommunalwahlen an. Meinungsumfragen sehen die in Teilen rechtsextreme Partei derzeit vor allem im Osten der Republik als stärkste politische Kraft. Im kleinen Bundesland Thüringen will sie 2024 sogar den Ministerpräsidenten stellen. Und das ausgerechnet mit einem besonders radikalen Vertreter: Björn Höcke.
Höcke ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Der ehemalige Gymnasial-Lehrer marschierte in der Vergangenheit schon lautstark auf einem Neonazi-Aufmarsch mit. Und sogar sein eigener Parteivorstand war vor Jahren der Überzeugung, dass er unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ Texte veröffentlicht habe, die „eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ aufweisen würden, so der Parteivorstand in einem Schreiben. Höcke bestritt zwar die Vorwürfe; er weigerte sich aber, eine entsprechende eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben.
Im Jahr 2017 hatte die AfD deswegen – erfolglos – den Parteiausschluss Höckes beantragt. Stattdessen hat sich die Partei mittlerweile in Höckes Richtung radikalisiert; seine Anhänger prägen inzwischen die Programmatik der Partei.
Nazi-Ideologie war in Deutschland lange tabu
Seit der mörderischen Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten unter ihrem selbsternannten faschistischen „Führer“ Adolf Hitler von 1933 bis 1945 gilt jegliche Form von ideologischer oder symbolischer Annährung an den Nationalsozialismus in Deutschland als politisch geächtet. In der NS-Zeit ermordeten die Nazis über sechs Millionen europäische Juden und verantworteten mit dem Zweiten Weltkrieg einen der folgenreichsten Kriege der Weltgeschichte.
Heute gibt es zahlreiche AfD-Funktionäre, die durch ideologische Nähe zum Nationalsozialismus aufgefallen sind. Björn Höcke darf sogar als „Faschist“ bezeichnet werden: Das sei ein Werturteil, das „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage“ beruhe, urteilte das Verwaltungsgericht Meiningen im Jahr 2019.
Dieser Björn Höcke könnte im Bundesland Thüringen bei den Wahlen im September 2024 als erster rechtsextremer Politiker im Nachkriegsdeutschland zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Das Amt hat weitreichende politische Macht: Der Ministerpräsident ist maßgeblich verantwortlich für die Bildungs- und Medienpolitik seines Landes. Er entscheidet auch über die konkrete Umsetzung der Asylpolitik des Bundes. Angesichts der Forderung der AfD nach einem radikalen Kurswechsel in der Asyl- und Einwanderungspolitik könnte das besonders folgenreich sein.
Höcke: „Kampf gegen rechts einstellen“
Auf einem AfD-Treffen im November 2023 kündigte Höcke weitreichende Maßnahmen an, sollte er gewählt werden: „Wir werden den Kampf gegen rechts einstellen!“ versprach er unter dem Jubel seiner Anhänger. Auch gegen die öffentlich-rechtlichen Medien will Höcke vorgehen: „Was passiert denn, wenn der Höcke dann Ministerpräsident wird? Kündigt er denn die Medien-Staatsverträge? Ja, das macht der Höcke dann, ja“, rief er ebenfalls unter dem Jubel der AfD-Mitglieder.
Wegen AfD-kritischer Berichte fordert die Partei seit Jahren eine Abschaffung oder Umstrukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Inspiriert vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump setzt die AfD auf sogenannte „Alternative Medien“ und verbreitet ihre politischen Vorstellungen auf eigenen, reichweiten-starken Parteikanälen in den sozialen Medien.
Wie realistisch das Szenario von einem rechtsextremen Ministerpräsidenten ist, hat das renommierte Onlineportal „Verfassungsblog“ im Dezember 2023 skizziert. Dreh und Angelpunkt ist demnach das eher unscheinbare politische Amt des Landtagspräsidenten. Es entfällt in Deutschland traditionell auf die bei Landtagswahlen erfolgreichste Partei. Und in Thüringen liegt die AfD in Meinungsumfragen klar vorne. Damit darf sie sich berechtigte Chancen auf dieses Amt ausrechnen.
„Immenser Schaden für die Demokratie“
Der Verfassungsblog warnt vor den Folgen: „Der Schaden, den eine autoritär populistische Partei mithilfe dieses Amtes für die Demokratie insgesamt anrichten könnte, ist immens.“ Denn der Landtagspräsident organisiert das Funktionieren der parlamentarischen Arbeit.
Aber: „Die AfD teilt das gemeinsame Interesse an einem funktionierenden Parlament nicht“, so die Einschätzung des Verfassungsblogs. „Sie lebt von der Erzählung, dass die Eliten ausgetauscht gehören und die Demokratie nicht funktioniert. Sie leitet ihren Machtanspruch nicht aus den demokratischen Verfahren ab, sondern setzt sich selbst mit dem Volk gleich.“
Vor allem: In Thüringen hätte der Landtagspräsident die Möglichkeit einen Politiker zum Ministerpräsidenten zu küren, auch wenn er im Parlament keine absolute Stimmenmehrheit bekommt. Dazu würde im dritten Wahlgang eine einfache Stimmenmehrheit reichen.
Verhindert werden könnte das wohl nur durch ein pikantes Bündnis: konservative Christdemokraten und sozialistische Linke müssten sich auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten verständigen. Aber beide Parteien sind in Deutschland – und insbesondere in Thüringen – erbitterte politische Gegner.