Israel-Türkei: Eine feindliche Freundschaft

Von | 6. November 2023

„Die Ähnlichkeit unserer Krawatten ist ein Zeichen dafür, dass sich unsere bilateralen Beziehungen verbessern“, sagte Israels Premier Benjamin Netanjahu, als er am 20. September in New York im „Türkevi“ (Deutsch: Türkisches Haus) den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan traf. Die beiden posierten freundschaftlich vor laufenden Kameras in einer humorvollen Atmosphäre. Netanjahu sagte zu Erdogan: „Ihre Krawatte gefällt mir“. Und Erdogan antwortete: „Sowohl das Hemd als auch die Krawatte sind gleich.“ Die Witze basierten darauf, dass das englische Wort „tie“ auf Englisch sowohl „Krawatte“ als auch „Beziehung“ bedeutet.

Das vor wenigen Wochen als Wendepunkt der türkisch-israelischen Beziehung entstandene Bild fühlt sich heute bereits wie Geschichte an. Die Witze vor laufenden Kameras ersetzte Erdogan in den vergangenen Tagen durch ganz andere Äußerungen. Die Hamas sei eine Freiheitsbewegung, keine Terrororganisation. Israel nannte er einen Besatzer und ging noch weiter: „Wir werden der ganzen Welt sagen, dass Israel ein Kriegsverbrecher ist“, sagte Erdogan letzte Woche auf einer pro-palästinensischen Kundgebung in Istanbul.  

Erdogan steht auf der Bühne mit türkischen und palästinensischen Fahnen im Hintergrund
Letzte Woche sprach Erdogan in Istanbul in einer pro-palästinensischen KundgebungBild: DHA

Neben Israel stufen auch Deutschland, die Europäische Union, die USA und einige arabische Staaten die Hamas als Terrororganisation ein. Die militant-islamistische Hamas erkennt den Staat Israel nicht an und will ihn nach eigenen Angaben vernichten.

Nach den massiven Vorwürfen Erdogans berief Israel seine Diplomaten aus der Türkei ab – man wolle die Beziehungen „neu bewerten“, kündigte Israels Außenminister Eli Cohen an. Diplomatischen Kreisen in Ankara zufolge ist zu erwarten, dass der türkische Botschafter in Tel Aviv baldig zur „Persona non grata“ erklärt werden könnte. Israel hat dies bisher nicht kommentiert. Das israelische Kriegskabinett kommentiere momentan ausschließlich den Krieg, sagt Gabriel Haritos: „Die Abberufung der Diplomaten spricht aber für sich“, so der Nahost-Analyst vom außenpolitischen Forschungsinstitut ELIAMEP in Griechenland, der auch am Ben-Gurion-Institut in Israel forscht.

„Vermittlerrolle war nie realistisch“

Die israelische Gesellschaft hege gegen die Türkei eine unverhohlene Wut, erklärt Haritos im Gespräch mit der DW. Heute werde die Türkei hier als Verbündeter einer Terrororganisation gesehen, die „eine neue Version des IS“ sei: „Erdogan war sowieso bereits unbeliebt hier. Jetzt ist er es erst recht.“

Die Türkei hatte sich in den ersten Tagen der Krise vergeblich als Vermittler angeboten. Danach ergriff Ankara ganz klar Partei für die Hamas. Der emeritierte Botschafter Safak Göktürk arbeitete jahrelang in der Nahost-Abteilung des türkischen Außenministeriums. Er betont, von Anfang an sei klar gewesen, dass die Türkei bei der Lösungsfindung nur eine begrenzte Rolle spielen könne – unter anderem wegen der ideologischen Verbindungen zwischen der regierenden AKP und der Hamas.

Seiner Einschätzung nach sei die Positionierung der türkischen Regierung allerdings in erster Linie innenpolitisch zu verstehen: „Sie hat sich wahrscheinlich überlegt, dass sie ihre Basis befriedigen muss.“ Und diese Basis besteht aus überwiegend konservativen muslimischen Wählern.

Die positive Stimmung ist zerstört

Nach vielen Krisen und Schlagabtauschen in den vergangenen Jahrzehnten begann der jüngste Annäherungsversuch 2021, als die beiden Länder gegenseitig Botschafter ernannten. Der Besuch des israelischen Präsidenten Isaac Herzog war Anlass dafür.

Gabriel Haritos
Gabriel Haritos beobachtet unter anderem die türkische AußenpolitikBild: privat

Es sei Erdogans Entscheidung gewesen, mit Israel ein neues Kapitel zu öffnen, verbunden mit der Hoffnung, dass man im Energiebereich gemeinsame Interessen finden könnte, sagt Haritos. Obwohl es auf israelischer Seite keine offizielle Bestätigung gab, kündigte Erdogan in New York nach seinem Meeting mit Netanjahu an, dass im östlichen Mittelmeer gemeinsame Bohrungen stattfinden würden und dass die Energieminister beider Länder im November zusammensitzen und sich mit gemeinsamen Projekten befassen würden. Es ist nun kaum mehr zu erwarten, dass so ein Treffen noch stattfindet.

Wirtschaft bleibt im grünen Bereich  

Trotz der vielen politischen Tiefen in der Vergangenheit sind die bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der Türkei auch in den Krisenzeiten nicht nur stark geblieben, sondern haben sich sogar verbessert. Das Handelsvolumen hat sich während 20 Jahren AKP-Regierung zwischen 2002 und 2022 versechsfacht – von 1,41 Milliarden auf 8,91 Milliarden US-Dollar. Israel ist der zehntwichtigste Exportpartner der Türkei. 2022 besuchte außerdem eine Rekordzahl von etwa 700.000 israelischen Touristen die Türkei.  

Es sei weiterhin zu erwarten, dass die guten wirtschaftlichen Beziehungen auch die aktuelle politische Krise überleben werden, sagt Bozkurt Aran, ehemaliger Botschafter und heutiger Direktor des Zentrums für Handelsforschung bei der Türkischen Forschungsstiftung für Wirtschaftspolitik (TEPAV). Er erklärt seine Prognose damit, dass die beiden Länder sich gegenseitig brauchen: „Die Geschäftsleute aus beiden Ländern kennen sich seit langem und vertrauen sich.“

Auch Haritos erwartet keine Verschlechterung der wirtschaftlichen Beziehungen: „Ganz im Gegenteil: Das Ende der politischen Romantik erwies sich als Anfang einer geschäftlichen Hochzeit für die beiden Länder.“

Viele Höhen und Tiefen

Die Türkei war 1949 das erste muslimisch geprägte Land, das den Staat Israel anerkannte. Der Staatsgründer Israels, David Ben-Gurion, hatte unter anderem die osmanische Staatsbürgerschaft, sprach Türkisch und hatte Jura in Istanbul studiert. Kurz bevor die islamistische AKP 2002 an die Macht kam, boomten Handel und Tourismus in beide Richtungen und die Verteidigungszusammenarbeit war im Aufschwung. Israelische Kampfpiloten übten zum Beispiel im türkischen Luftraum und israelische Techniker modernisierten türkische Kampfjets.  

Tausende Demonstranten begrüßen das türkische Schiff Mavi Marmara bei ihrer Rückkehr nach Istanbul mit palästinensischen und türkischen Fahnen
Tausende Demonstranten begrüßten die „Mavi Marmara“ bei ihrer Rückkehr nach Istanbul mit palästinensischen und türkischen FahnenBild: picture-alliance/dpa

Die Beziehungen erlitten einen großen Schaden, als die israelische Marine am 31. Mai 2010 das türkische Schiff „Mavi Marmara“ enterte, das mit Hilfsgütern für den Gazastreifen beladen war. Auf dem Schiff wurden neun türkische Aktivisten getötet. Die Türkei zog ihren Botschafter ab. Netanjahu entschuldigte sich 2013 bei Erdogan und bot Ankara 20 Millionen US-Dollar Kompensation an. Es gab seitdem weitere Krisen, unter anderem, als der damalige US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte.

„Türkei muss Vertrauen zurückgewinnen“

Arans Einschätzung nach wird die heutige türkische Positionierung gegenüber Israel auf Dauer größere Auswirkungen haben. „Erdogans Statements zur Hamas werden natürlich einen Einfluss haben. Nicht nur auf die Beziehungen mit Israel, sondern auch auf die mit dem Westen. Das kann man nicht vermeiden“, so der Ex-Diplomat. Diese Haltung schade dem globalpolitischen Image der Türkei; die Regierung werde nun außenpolitisch Vertrauen zurückgewinnen müssen: „Vertrauen ist ein wertvolles Gut. Es ist einfach zu verlieren und schwer zurückzubilden.“

Haritos betont, dass sich die Zukunft der bilateralen Beziehungen erst nach dem Krieg herauskristallisieren wird: „Die einzige Agenda für die israelische Politik ist, diesen Krieg zu gewinnen und die Hamas zu zerstören. Erst nach dem Krieg wird sich Israel daran erinnern, welche Regierungen freundlich waren und welche nicht.“

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